Der kuriose Fall des Spring Heeled Jack: Roman (German Edition)

Limehouse Cut – einem Kanal, der den Unterlauf des Lea mit der Themse verband – bliesen einige der betriebsamsten Fabriken Londons schwarzen Rauch in die Luft und versorgten die Tausenden Arbeiter, die in ihnen schufteten, mit einemHungerlohn. Die Haut vieler dieser Männer, Frauen und Kinder war von den industriellen Farbstoffen, mit denen sie arbeiteten, unwiderruflich gelb, rot, grün oder blau verfärbt. Andere waren nach all den Stunden, die sie an Brennöfen oder Heizkesseln geackert hatten, von Brandwunden und Blasen entstellt. Und sie alle hatten schwielige Hände, verhärmte, knochige Körper, und in ihren Augen lag der getriebene Blick des Hungers.
    Burton lief an den riesigen, hoch aufragenden Gebäuden vorbei, bis er eines erreichte, das, ungleich seiner Nachbarn, leer stand. Nahezu kein intaktes Fenster war den sieben Stockwerken geblieben, die sich still über den belebten Kanal erhoben, fast alle Scheiben fehlten, waren eingeworfen oder gesprungen. Eine leere Hülle, die Schornsteine stumm, die Eingänge zugemauert.
    Er lief um das Gebäude herum, durch einen Bogengang hindurch, der auf die Broomfield Street führte, vorbei an der verwaisten Front mit den verbarrikadierten Laderampen und leeren Stallungen und kehrte dann durch einen zweiten überdachten Gang zu den schmalen Docks auf der Kanalseite zurück.
    Menschen sahen ihn, beachteten ihn aber nicht. So war es Brauch in Limehouse.
    Neben dem Dock, in einer Nische in der Wand der Fabrik, durch die rostige Abwasserrohre liefen, fand er, wonach er suchte: eiserne Griffe, die ins Mauerwerk eingelassen waren.
    Er verschob die Tasche, die er sich über die Schulter geworfen hatte, so, dass sie ihm richtig auf dem Rücken lag, dann begann er den Aufstieg. Er prüfte jede Sprosse, bevor er sie belastete.
    Eine zweite Nachricht hatte ihn an diesem Morgen zu Hause erwartet, als er vom Yard zurückgekehrt war. Sie stammte von Isabel:
    Du wirst deine Meinung ändern. Wir sind füreinander bestimmt, das weiß ich seit dem Moment, als ich dich vor zehn Jahren das erste Mal sah. Ich warte auf dich. Ganz gleich, wie lange es dauert, ich warte auf dich.
    Nachdenklich hatte er eine Weile dagesessen, mit dem Zeigefinger die Narbe auf seiner Wange nachfahrend. Dann hatte er sich zusammengerissen und eine knappe Antwort verfasst:
    Warte nicht. Lebe dein Leben.
    Es war grausam, das wusste er, aber wie bei einer Amputation würde ein schneller und sauberer Schnitt am besten heilen.
    Er kletterte weiter hinauf, bis er schließlich das Ende der Leiter erreichte, dann zog er sich über den Dachvorsprung. Einen Moment lang blieb er sitzen, um zu Atem zu kommen, während er über das flache Dach zu den zwei länglichen Oberlichtern sah, deren zersprungene Fenster von Ruß geschwärzt waren. In der Mitte des Daches, zwischen den beiden Reihen aus Glas, erhoben sich acht Schornsteine hoch in die Luft. Es war der dritte aus östlicher Richtung, der ihn interessierte.
    Vorsichtig suchte er sich einen Weg über das mit Schutt übersäte Dach, wobei er die eingefallenen Stellen mied, bis er das nächstgelegene Oberlicht erreichte. Er lief um die Kante herum und ging hinüber zum Schornstein.
    Auch hier verliefen Sprossen, vom Boden des Daches bis ganz nach oben. Wieder kletterte er und genoss die einzigartige Aussicht über die Stadt, die sich unter ihm ausbreitete.
    Ein kalter Wind wehte und ließ seine lose Kleidung flattern, aber seine dicke Weste hielt ihn warm.
    Er hielt inne, hakte sich mit dem Arm in einer Sprosse ein und schöpfte Atem. Auf halber Höhe konnte er in weiter Ferne durch den trüben Dunst und die Rauchsäulen, die sich wie riesige Bäume aus der Stadt in den Himmel schraubten, die überwältigende Kuppel von St Paul’s erkennen. Ein paar schwarze Flecken flogen zwischen ihm und der Kathedrale vorüber, Rotorstühle und Schwäne, die verschiedenen Formen des Lufttransports, entwickelt von den beiden mächtigsten Gruppierungen der Technokraten-Kaste, den Ingenieuren und den Eugenikern.
    Er seufzte. Für ihn war sie einfach zu spät gekommen, diese neue Technologie. Wenn er, wie John Speke auf seiner zweiten Expedition, auf den Vorteil der Schwäne hätte zurückgreifen können, hätten die Ereignisse der letzten Zeit zweifelsohne ganz anders ausgesehen.
    Er setzte seinen Aufstieg fort und bedankte sich im Stillen dafür, dass er nicht unter Höhenangst litt.
    Minuten später erreichte er die obere Kante und schwang sich hinauf, sodass er auf dem