Der kurze Sommer der Anarchie
Nähe miterlebt. Ich bin nicht auf die Straße gegangen. Ich habe nicht geschossen, weil man es mir nicht erlaubt hat. Aber ich habe Ascaso fallen sehen, vom Metallarbeiter-Syndikat aus, auf den Ramblas. Ich habe seinen Leichnam gesehen, wie sie ihn hereingetragen haben, er war von Kugeln förmlich durchlöchert. Das reinste Sieb!
Niemand hat seine Tat erklären können. Er ist ganz allein hinausgegangen, die Kaserne gegenüber war noch in den Händen der Franco-Truppen. Ganz allein ist er in den sicheren Tod gegangen. Ich weiß nicht, was ihn gepackt hat. Es sah aus wie ein Selbstmord.
Emilienne Morin
Das letzte Treffen der Gruppe Nosotros fand am 20. Juli vor der Atarazanas-Kaserne statt. Das Knattern der MGs und das Pfeifen der FAI-Bomben, das uns allen so vertraut war, hatte uns zusammengerufen. Durruti führte den Angriff in vorderster Linie, Ascaso und Garria Oliver standen am glühend heißen Maschinengewehr, Sanz hatte einen Korb mit Wurfbomben mitgebracht, die er gegen die belagerte Kaserne schleuderte; auch Aurelio Fernandez, Antonio Ortiz und Gregorio Jover waren zur Stelle. Es war bei diesem Treffen, daß Francisco Ascaso fiel.
Sein Tod war das Ende der Gruppe. Wir haben uns nie wieder alle vereint gesehen, nicht einmal bei Ascasos Begräbnis. Und das war vielleicht der größte Fehler, den die Gruppe gemacht hat: sie hat sich zerstreut, aufgelöst, in alle Winde verwehen lassen.
Ricardo Sanz 2
Die Anarchie
»Es lebe die FAI!« - »Es lebe die Anarchie!« - »Es lebe die CNT!« »Genossen! Wir haben die Faschisten besiegt. Die kämpfenden Arbeiter von Barcelona sind mit der Armee fertiggeworden.« »Es lebe die Republik!« »Meinetwegen. Auch die Republik soll leben.« Der Kampf in Barcelona ist zu Ende. Das Wehrkreiskommando hat sich ergeben; kurz darauf hat auch die belagerte Atarazanas-Kaserne kapituliert. Verschwitzt, lachend, heisergeschrieen umarmen sich die Straßenkämpfer. Sie heben ihre Waffen hoch, sie erheben die Fäuste, sie lassen ihre Anführer hochleben. Zerlumpt, abgezehrt, mit geschwärzten Gesichtern, in Hemdsärmeln, mit erhobenen Händen und angsterfüllten Augen, umringt von drohenden Waffen, von einer leidenschaftlichen Menge, die sie beschimpft, werden die Gefangenen abgeführt. Niemand weiß, wohin mit ihnen, nicht einmal ihre Bewacher. Garria Ruiz, ein Straßenbahner, wendet sich an Garria Oliver. »Was sollen wir mit ihnen machen?«
Hier in dieser Stadt gibt kein Polizist, kein Offizier der Bereitschaftspolizei, kein Politiker mehr Befehle. Die Träger stolzer Uniformen, die Herren mit dem Kasinoton, den Ordensschnallen und Epauletten, die Männer mit dem umgeschnallten Degen und mit dem schwarzen Homburg haben abgewirtschaftet, sie sind besiegt. Wer hier seine Macht gezeigt und das Spiel gewonnen hat, das sind jene, die vorher nichts zu sagen hatten, die verfolgt und eingesperrt worden waren und sich in Kellerlöchern verkriechen mußten.
»Bringt sie in die Transportarbeiter-Gewerkschaft und haltet sie fest. Wir werden noch entscheiden, was mit ihnen geschieht.« Durruti hält mit zusammengezogenen Brauen die noch heiße Waffe in der Hand. Seine Augen füllen sich mit Tränen. Jover schweigt. Sie wissen nicht, was sie sagen sollen. Die Freude über den Sieg wird verdrängt durch die Erinnerung an Ascaso, den Genossen aus so vielen Jahren des Kampfes. »Armer Paco!«
Aber sie haben keine Zeit für ihre Gefühle, für Schmerz und Melancholie. Es ist die Stunde des Handelns.
»Also gehen wir«, sagt Garcia Oliver.
Luis Romero
Durruti wurde am 20. Juli zweimal verwundet, einmal an der Stirn, das zweitemal an der Brust. Vor der Leiche Ascasos soll er vor Schmerz und Wut geweint haben.
Als die Kämpfe beendet waren, ging Durruti, den die bürger liche Presse als Terroristen und Mörder hinstellt, in den Bischofspalast. Er rettete dem Bischof von Barcelona, dessen Kopf die wütende Menge forderte, das Leben, indem er ihn, in einen Staubmantel gehüllt, unbemerkt aus dem Haus führte. Die Schätze, die im Palast angehäuft waren und deren Wert sich auf viele Millionen Peseten belief, übergab Durruti unversehrt der Generalität.
Alejandro Gilabert
Der Erzbischof von Barcelona konnte nach dem 20. Juli unter dem Schutz, den die Anarchisten ihm ausdrücklich gewährten, entkommen. Vielleicht trugen sie damit eine Dankesschuld ab. Der Kirchenfürst hatte sich nämlich seinerzeit bereit erklärt, ein Gnadengesuch zugunsten von Durruti und Perez Farvas zu unterschreiben,
Weitere Kostenlose Bücher