Der kurze Sommer der Anarchie
seinem Besitz schadlos. Was den Präsidenten Companys wirklich beunruhigt, ist jedoch der Umstand, daß hier im Angesicht der Bereitschaftspolizei, die mit verschränkten Armen zuschaut, unweit des Regierungspalais ganz offen gegen das Privateigentum vorgegangen wird. Besteht nicht die Gefahr, daß die Früchte des Sieges verlorengehen, wenn die Hüter der öffentlichen Ordnung ihre Disziplin brechen? Companys setzt sich telefonisch mit seinem Sicherheitskommissar Escofet in Verbindung und fragt ihn, wieweit er für den Gehorsam der ihm unterstellten Einheiten noch einstehen kann: für die Bereitschaftspolizei, die Guardia Civil und die Provinzgarde. Escofet antwortet: »Ich kann für nichts mehr einstehen. Die Truppen laufen mir davon, sie gehen zur FAI über.«
Manuel Benavides
Die Doppelherrschaft
Die Frage der Macht
Über Nacht war in ganz Katalonien alle Macht der CNT und der FAI zugefallen. Die Anarchisten brauchten sie nur zu ergreifen. Ihre Organisation mußte sich entscheiden. Ihre Führer sahen nur zwei Möglichkeiten: entweder eine Diktatur der Anarchisten oder die Zusammenarbeit mit einer zwar vorhandenen, aber ohnmächtigen Regierung. Es war ein kritischer Moment. Wenn die Anarcho-Syndikalisten den Staatsapparat der Generalität zerstört hätten, dann wären sie vielleicht in der Lage gewesen, ihre Revolution in den folgenden Monaten wirksamer zu verteidigen. Es gibt allerdings keinen Grund anzunehmen, daß das Zerbrechen der Staatsmaschinerie in Katalonien am Ausgang des Krieges etwas geändert hätte. Daß die Anarcho-Syndikalisten die Macht nicht ergriffen, war nur einer von vielen Faktoren, die allesamt dazu beitrugen, den Kometen der Revolution aus seiner Bahn ZU werfen.
Stephen John Brademas
Juan Comorera, Sozialdemokrat und künftiger Generalsekretär der Sozialistischen Einheitspartei Kataloniens (PSUC), in der die Kommunistische und die Sozialdemokratische Partei aufgegangen waren, versuchte in dieser Nacht, dem Präsidenten die Lage zu verdeutlichen.
»Die FAI und die POUM sind die Herren der Straße und können tun und lassen, was sie wollen. Damit hat ein langwieriger Krieg begonnen, den wir verlieren werden, wenn wir nicht dafür sorgen, daß diese Organisationen innerhalb von wenigen Wochen, höchstens Monaten, zerfallen... Für uns heißt das, daß wir alle Kräfte sammeln und die sozialistische Gewerkschaft UGT als Gegenkraft zur CNT aufbauen müssen. Sie, Herr Präsident, dürfen in diesem Moment auf keinen Fall mit Gewalt vorgehen. Sie müssen versuchen, die revolutionäre Ordnung zu sichern; sie müssen die Bildung von Truppen unterstützen, die der Regierung gehorchen.
Wir stehen vor der Aufgabe, eine Armee aufzubauen. Die Anarchisten und die Trotzkisten werden ein großes Geschrei anfangen, wenn sie davon erfahren. Wir werden uns einfach taub stellen. Sobald wir über eine bewaffnete Streitmacht verfugen und eine solide Arbeiter- und Bauernbewegung wiederhergestellt haben, werden wir den Krieg an der Front führen und im Hinterland die Wirtschaft verteidigen, statt eine Revolution zu machen, die zur Zeit gar nicht auf der Tagesordnung stehen kann.«
Manuel Benavides
Die Casa Cambö, der Sitz des Unternehmer-Verbandes von Katalonien, ein massives Gebäude, das wie der Sitz einer Großbank wirkt, liegt in der Via Layetana 32. Schräg gegenüber, in einem alten, düsteren Haus an der Mercaders-Straße, hatte die mächtige Bauarbeiter-Gewerkschaft von Barcelona ihren Sitz. Sie war der CNT angeschlossen. Im Verlauf der Kämpfe beschlossen die versammelten Arbeiter dieser Gewerkschaft, die Casa Cambö im Sturm zu nehmen. Das geschah zunächst aus rein militärischen Gründen, weil ein MG-Schütze vom obersten Stock des Hochhauses aus eine wichtige Verkehrsader beherrschen kann. Aber kaum war das Haus erobert, fanden sich dort immer mehr Gruppen ein. Es verwandelte sich fast von selbst in eine Art Generalstab der Revolution. Auch das Regionalkomitee der CNT siedelte noch während der Kämpfe in das Haus über. Nach dem Sieg der Revolution hatte das Gebäude bereits seinen Namen gewechselt: ganz Barcelona nannte es das Haus der CNT-FAI. Wo früher die Hochfinanz und die Industrie ihre Direktionsbüros hatten, tagten jetzt in Permanenz die Räte, die Ausschüsse und die Stäbe der Arbeiterschaft von Barcelona. Die Verwandlung war schon am Eingang zu erkennen: der Halbkreis vor dem großen Portal war durch eine Barrikade aus Sandsäcken abgesperrt und durch zwei Maschinengewehre
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