Der kurze Sommer der Anarchie
gesichert. Die breiten Balkone an der Fassade trugen riesige Transparente. In diesem Haus nahm das Plenum der CNT von Katalonien am 20. Juli die Beratungen über die politische Linie auf, die der Regierung gegenüber einzuschlagen war.
Abel Paz 1
Das Gespräch mit dem Präsidenten
Das Haus der Bauarbeiter-Gewerkschaft, in dem soeben die Sitzung des Regionalkomitees der CNT zu Ende gegangen ist, liegt nur ein paar Blocks weit vom Palast der Generalität von Katalonien entfernt. Dennoch haben die Mitglieder des Verteidigungsausschusses beschlossen, den Weg im Auto zurückzulegen. Eine kleine Wagenkolonne mit Bewaffneten begleitet sie. Mit ihren Gewehren, Pistolen, MPs und Handgranaten demonstrieren sie ihre Stärke und sichern sich gleichzeitig gegen einen kaum wahrscheinlichen, aber denkbaren Hinterhalt. Durruti betrachtet sich, obwohl er in zahllosen Versammlungen als Redner aufgetreten ist, hauptsächlich als einen Mann der Aktion. Er verläßt sich nicht auf seine Redegabe, sondern eher auf die Pistole im Gürtel und auf das Gewehr zwischen seinen Knien. Neben ihm sitzt, an Stelle des toten Ascaso, dessen Bruder Joaquin. Die Mitglieder des Komitees haben in den letzten drei Tagen alles auf eine Karte gesetzt. Ihr Sieg hat alle ihre Erwartungen übertroffen. Die Stadt gehört ihnen. Die CNT-FAI ist der Herr von Barcelona und ganz Katalonien. Die Stunde des Anarchismus hat geschlagen. Wie wird sich die Regierung verhalten? Durruti und seine Leute werden fordern, was ihnen zusteht: freie Bahn für die proletarische Revolution. Sie haben keine Lust, eine Regierung zu bilden, aber die Macht, die sie errungen haben, werden sie am Verhandlungstisch und mit der Waffe in der Hand verteidigen. Niemand kann ihnen den Sieg streitig machen. Die Guardia Civil hat erst in letzter Stunde für die Regierung Partei ergriffen; die Mannschaften sind verwirrt. Als Instrument der Repression kommt die kasernierte Polizei nicht mehr in Betracht. Die Asaltos von der Bereitschaftspolizei sind in ihrer Mehrheit auf der Seite des Volkes. Die Armee ist aufgerieben; die antifaschistischen Offiziere sind außerstande, die wenigen loyal gebliebenen Einheiten zu einem neuen, schlagkräftigen Heer aufzubauen. Die Provinzgarde ist schwach, sie reicht gerade zur Deckung des Regierungspalastes aus. Die katalanischen Nationalisten und die kleinbürgerlichen Parteien, die opponieren könnten, machen den Anarchisten nicht die geringsten Sorgen. Das Proletariat von Barcelona ist jetzt vorzüglich bewaffnet; Wachposten und Barrikaden sichern die Schlüsselpositionen; die Gewerkschaftslokale und Arbeiterzen tren sind befestigt. Die bürgerlichen Politiker sehen sich isoliert.
Während sich das Regionalkomitee im Haus der Bauarbeiter mit Marianet, Santillan, Augustin Souchy und anderen Aktivisten beraten hat, klingelte das Telefon. Marianet Väsquez hat den Anruf entgegengenommen. »Ja, hier der Sekretär des Regionalkomitees.« Sein Gesicht zeigte, wie überrascht er war. Alle hörten, wie er in etwas spöttischem Ton sagte: »Ich verstehe. Na schön, wir werden gleich darüber sprechen.« Dann hängte er ein, drehte sich um und teilte den andern mit: »Der Präsident Companys bittet das Komitee, eine Delegation zu ihm zu schicken. Er möchte verhandeln.« Noch ehe die Verblüffung sich gelegt hatte, fuhr der Sekretär ganz geschäftsmäßig fort: »Genossen, ich eröffne die Sitzung des Regionalkomitees unter Teilnahme der anwesenden Mitglieder des Verteidigungsausschusses.«
Es war eine lange, erregte Sitzung. Die einen wollten die Einladung ausschlagen; anderen schien der Moment gekommen, den Präsidenten abzusetzen und in ganz Katalonien den freien Kommunismus auszurufen; andere fürchteten, das Ganze sei eine Falle. Die Redner sprachen mit heiserer Stimme, nur durch Kaffee und Tabak noch wachgehalten. Garcia Oliver sprach das Dilemma offen aus: entweder Zusammenarbeit mit den Parteien oder Diktatur der Anarchisten. Der Vorschlag, der schließlich angenommen wurde, lief darauf hinaus, die Haltung von Companys zu erkunden, ohne sich einschüchtern zu lassen oder sich zu engagieren. Dabei spielte sicherlich auch eine Rolle, daß die Kampfgruppen Ruhe brauchten, und wäre es nur für kurze Zeit, um neue Kräfte zu sammeln - dies schon mit Rücksicht auf die Genossen in Zaragoza, die der Putsch der Faschisten überrascht hatte und die in schwere Kämpfe verwickelt waren. Die Wagenkolonne fuhr die Straße Jaime I. hinauf, auf den Palast zu, und erreichte
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