Der kurze Sommer der Anarchie
dieser Klasse erlaubt, ihr Programm zu verwirklichen. Es ist unmöglich, die Massen zum Aufstand zu treiben, ohne daß man sie auf die Eroberung der Macht vorbereitet. Niemand hätte die Anarchisten nach der Eroberung der Macht daran hindern können, zu tun, was sie für nötig hielten; aber ihre Führer glaubten selbst nicht mehr daran, daß ihr Programm zu verwirklichen war.
Lev Trockij
Ein Mann ohne Sitzfleisch
Es dauerte nicht lang, und Durruti begriff, daß das Zentralkomitee ein Verwaltungsorgan war. Es wurde dort diskutiert, verhandelt, abgestimmt, es gab Akten, bürokratische Arbeit. Durruti aber hatte kein Sitzfleisch.
Draußen wurde geschossen. Das hielt er nicht lange aus. Er stellte also eine eigene Division auf, die Kolonne Durruti, und zog mit ihr an die Aragon-Front. Ich war dabei, als sie durch die Straßen von Barcelona hinausmarschierten. Es sah ungeheuer aus: ein Wirrwarr von Uniformen, Freiwillige aus allen Erdteilen, die Kleider bunt gewürfelt und zusammengeflickt. Sie hatten fast etwas Hippieartiges, aber es waren Hippies mit Handgranaten und MGs, und sie waren entschlossen, bis zum Tod zu kämpfen.
Jaume Miravitlles 1
Der Feldzug
Die erste Kolonne
Die erste Aufgabe des Milizen-Komitees bestand darin, bewaffnete Truppen zum Einsatz an der Aragon-Front aufzustellen. Vier Tage, nachdem die aufständischen Militärs in Barcelona niedergeworfen worden waren, versammelten sich auf dem Paseo de Gracia und auf der Diagonalen dreitausend Freiwillige. Unter der Führung von Durruti und Perez Farras (einem regierungstreuen Offizier der Mozos de Escuadra) marschierten sie nach Aragon. Durrutis legendäre Kolonne’ schwoll unterwegs noch weiter an. Die Presse der Anarchisten verfolgte den Vormarsch ihres Helden mit riesigen Schlagzeilen. Es ist schwierig, die Mobilisierung der Milizen zahlenmäßig exakt zu bestimmen. Die Anarchisten widersprechen sich in diesem Punkt selber. Rudolf Rocker spricht von 20 000 Mann Arbeitermilizen, davon 13 000 Mann von der CNT-FAI, 2000 von der sozialistischen Gewerkschaft UGT, 3000 von den Parteien der Volksfront; dabei sei die Kolonne Durrutis mit ihren 8000 Mann noch nicht einmal mitgerechnet. Abad de Santillan gibt an, daß sich wenige Tage nach Durrutis Abmarsch insgesamt bereits 150 000 Freiwillige aus Barcelona gemeldet hätten; sie seien in die Kolonnen der verschiedenen Parteien und Gewerkschaf tsorganisationen eingetreten.
John Stephen Brademas
In den Zeitungen jener Tage hieß es: »Das Komitee der Antifaschistischen Milizen hat beschlossen, bewaffnete Arbeiterbrigaden nach Zaragoza in Marsch zu setzen, um die aufständischen Militärs anzugreifen. Das Komitee plante die Entsendung von 6000 Freiwilligen, doch die Begeisterung war so groß, daß sich auf der Plaza de Cataluna nicht weniger als 10 000 Freiwillige einfanden, die auf Zaragoza marschieren wollten.«
Dagegen stellt Abad de Santillan fest: »Ungeachtet des allgemeinen Fiebers erreichte die Kolonne Durruti-Perez Farras nicht einmal annähernd die vorgesehene Stärke. Von Anfang an fehlte es an der Einsicht in den Ernst der Lage. Statt alle Kräfte, die verfügbar waren, Menschen, Waffen, Arbeit und Überlegung, an den Krieg zu wenden, glaubte man allgemein, die erste Kolonne, die gegen Zaragoza ausrückte, werde auf keinerlei Hindernisse treffen und eher zu stark als zu schwach an Kräften sein. Als sie aufbrach, umfaßte sie 3000 Milizionäre.«
Jose Peirats 2
Längst vor der Stunde, auf die der Abmarsch festgesetzt war, fanden sich in der Avenue des 14. April, der Gran Via Diagonal von Barcelona, etwa 2000 Männer ein, darunter Artilleristen, die Geschütze verschiedener Kaliber mitbrachten, andere mit automatischen Waffen, Telefonarbeiter mit allem möglichen Fernmeldematerial, in der Mehrzahl aber Arbeiter, die nur mit Gewehren bewaffnet waren. Am Nachmittag des 24. Juli setzte sich die Kolonne in Marsch.
Ricardo Sanz 4
Als sie nach Aragon aufgebrochen sind, und ich wollte mit, da bin ich auf einen Lastwagen gestiegen. In ganz Barcelona fuhren damals Lautsprecherwagen herum und forderten die Bevölkerung auf, Lebensmittel zu bringen, denn die Milizen sind ohne eine Brotrinde losmarschiert.
Das war phantastisch, die Leute kamen von allen Seiten, vom Mittagstisch weg, und sie brachten alles, was sie hatten, Brühe, Fleisch, Gemüse, Sardinenbüchsen. Im Nu waren die Lastautos voll, und wir fuhren den Milizen nach. Die wären sonst verhungert. Ich meine, essen müssen auch die
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