Der kurze Sommer der Anarchie
Bau, große Galerien und weiträumige Säle, Glasdecken, kunstvoll gefertigte Riesenmodelle alter Schiffe, Waffen, Munitionskisten. Eine Unmenge Menschen.
Oliver selbst in einem komfortabel eingerichteten Kabinett, inmitten von Teppichen, Statuen. Er bot mir gleich eine Habana und Cognac an. Bräunliche Gesichtsfarbe, schön, mit einer Schramme kn sehr fotogenen, finsteren Gesicht, eine riesige Parabellum im Gürtel. Zu Beginn bewahrte er Schweigen und schien überhaupt wortkarg zu sein, aber plötzlich brach ein toller, leidenschaftlicher Monolog aus ihm, der einen erfahrenen, hitzigen, geschickten Redner offenbarte. Lange Lobeshymnen über den Mut vor allem der anarchistischen Arbeiter; er versicherte, daß gerade sie während der Straßenkämpfe in Barcelona die Lage gerettet hätten, daß gerade sie jetzt die Avantgarde der antifaschistischen Miliz seien. Die Anarchisten hätten stets ihr Leben für die Revolution geopfert und seien auch weiterhin bereit, ihr Leben für die Revolution hinzugeben. Mehr als das Leben: Sie seien bereit, sogar mit einer bürgerlichen antifaschistischen Regierung zusammenzuarbeiten.
Ihm, Oliver, falle es zwar schwer, die anarchistischen Massen dahin zu bringen, aber er und seine Genossen täten alles, um die anarchistischen Arbeiter zu disziplinieren, sie der Leitung der gesamten Volksfront zu unterstellen, und es werde ihnen gelingen. Ja, er, Oliver, sei bei Kundgebungen sogar schon des Kompromisses und des Verrats an anarchistischen Prinzipien beschuldigt worden. Die Kommunisten sollten dies alles nur berücksichtigen und die Saiten nicht zu straff spannen. Die Kommunisten rissen die Gewalt übermäßig an sich. Wenn das so weitergehe, dann könnten die CNT und die FAI für die Folgen nicht aufkommen. Dann begann er nervös, sogar ein wenig übernervös, zu dementieren. Es sei unwahr, daß die Anarchisten viele Waffen verborgen hätten. Es sei unwahr, daß die Anarchisten nur für die Miliz und gegen reguläre Truppen wären. Es sei unwahr, daß die Anarchisten mit der POUM zusammenarbeiteten. Es sei unwahr, daß anarchistische Gruppen Geschäfte und Wohnungen plünderten; möglich, daß dies Verbrecher täten, die sich mit der rot-schwarzen Fahne maskierten. Es sei nicht wahr, daß die Anarchisten gegen die Volksfront wären, ihre Loyalität sei bewiesen, in Wort und Tat. Es sei nicht wahr, daß die Anarchisten gegen die Sowjetunion eingestellt wären. Sie liebten und respektierten die russischen Arbeiter; sie hätten nicht daran gezweifelt, daß die russischen Arbeiter Spanien helfen würden. Und wenn es nötig wäre, würden die Anarchisten auch der Sowjetunion helfen. Möge die Sowjetunion in ihren Plänen solch eine Kraft wie die spanischen anarchistischen Arbeiter nicht unterschätzen. Es stimme nicht, daß es in anderen Ländern keine anarchistische Bewegung gäbe, aber ihr Zentrum sei selbstverständlich Spanien. Warum würdige man in der Sowjetunion Bakunin nicht? Hier erweise man Bakunin die geziemende Ehre, sowohl für Spanien als auch für Rußland. Es stimme nicht, daß die Anarchisten Marx nicht gelten ließen. Ich solle mal mit seinem, Olivers, Freund Durruti sprechen; ach, Durruti sei ja an der Front. Er stehe vor den Toren Zaragozas. Ob ich die Absicht hätte, an die Front zu gehen? Ja, ich hätte die Absicht, an die Front zu gehen. Morgen schon, wenn ich nur einen Passierschein hätte. Könnte Oliver mir nicht den Passierschein geben? Ja, Oliver war gern bereit, mir den Passierschein zu geben. Er sprach mit seinem Adjutanten, und der stellte sofort, in meiner Gegenwart, auf der Schreibmaschine eine Bescheinigung aus, und Oliver unterzeichnete sie. Er drückte mir die Hand und bat, daß die russischen Arbeiter richtig informiert würden über die spanischen Anarchisten.
Es sei nicht wahr, daß die Anarchisten gestern die Weinkeller »Pedro Domecq« ausgeraubt hätten, wahrscheinlich sei das irgendwelches Gesindel gewesen, das sich die Mitgliedschaft zur FAI selbstherrlich angeeignet hätte. Es sei nicht wahr, daß die Anarchisten die Mitarbeit in der Regierung ablehnten
Michail Kol‘cov
Unhaltbare Zustände
Die Erfahrungen, die wir seit den Juli-Tagen gemacht haben, bestätigen die alte These, daß eine Revolution nur das verwirklichen kann, was im Bewußtsein der Massen schon latent als Bedürfnis und Zielvorstellung vorhanden war. Nur ein klares Bewußtsein, eine gesellschaftliche Kultur der Massen kann verhindern, daß in den großen Umwälzungen die
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