Der kurze Sommer der Anarchie
Kleinlichkeit, die persönliche Rachsucht und die Gier der Zukurzgekommenen die Oberhand gewinnen.
Schon einige Wochen vor dem Umsturz haben wir in internen Sitzungen der FAI über diese Fragen diskutiert. Garcia Oliver vertrat damals die Ansicht, die Revolution durchbreche alle Dämme der Moral und verwandle das Volk in eine gefährliche Bestie, die, wenn man ihr nicht mit organisierten Kräften entgegentrete, hemmungslos plündern, sengen und morden werde. Ich behauptete das Gegenteil und sagte, die Aktion der Massen bringe große moralische Kräfte hervor; ich beschrieb ein Volk in Waffen, wie ich es in den Büchern angetroffen hatte. Seit den Juli-Tagen habe ich meine Ansicht ändern und Garcia Oliver recht geben müssen. Was die drei Tage des Kampfes angeht, so haben wir uns nichts vorzuwerfen. Sie waren großartig. Aber danach, angesichts der bewußtlosen Zügellosigkeit und Verschwendung der Massen, haben wir versagt. Das Land lebte sinnlos in den Tag hinein, ohne Rücksicht auf die absehbaren und nicht wiedergutzumachenden Folgen. Wir sahen die Katastrophe kommen, aber wir waren zu schwach, um sie aufzuhalten. Zwar versuchten wir, vom Milizenkomitee aus, die Bremsen anzuziehen; aber eine solche Reaktion muß, wenn sie wirken soll, direkt und spontan von der Basis ausgehen, und das ist nur möglich in einem Volk, dessen Bewußtsein auf einer höheren Stufe steht.
Ein Beispiel hierfür sind die Volksküchen, die überall, in allen Stadtvierteln, improvisiert wurden und die an jedermann umsonst soviel Essen ausgaben, wie verlangt wurde. Sie funktionierten mehrere Wochen lang und brauchten alle Vorräte auf, über die Stadt und Land verfügten. Sie forderten von uns immer mehr Proviant, und wenn wir ihnen nichts geben konnten, holten sie sich selber aus Magazinen und Geschäften, was sie brauchten. Für die Milizen an der Front ließen sie nichts übrig.
Ihre »Beschlagnahmungen« ruinierten die Wirtschaft der Region. Für das Komitee waren sie ein beständiger Alptraum, der uns dauernd Ärger und große Unbeliebtheit einbrachte. Der Mangel an Bewußtsein war nicht auf einzelne Parteien oder Organisationen begrenzt, er war eine allgemeine Erscheinung. Für viele Leute bestand die Revolution eben hauptsächlich darin, die Beute zu verteilen und zu genießen. Die wenigsten dachten daran, die geplünderten Lager wieder aufzufüllen, die Arbeit in der Industrie und in der Landwirtschaft zu intensivieren.
Diego Abad de Santillan
Die FAI tritt unhaltbaren Zuständen entgegen
Barcelona, 30. 7. - Wir sind Gegner jeder Gewalt- und Willkürherrschaft. Jedes Blutvergießen, das nicht von der Entschlossenheit des Volkes herrührt, sich Gerechtigkeit zu verschaffen, finden wir abstoßend. Wir erklären jedoch kalten Blutes, in schrecklicher Heiterkeit und unbeugsam entschlossen, das zu tun, was wir hier ankündigen: daß wir, wenn die unverantwortlichen Handlungen nicht aufhören, die ganz Barcelona in Schrecken versetzen, jeden ohne Ausnahme niederschießen werden, von dem erwiesen ist, daß er Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat.
Die Ehre des Volkes von Barcelona und die Würde der CNT und der FAI erfordern es, daß diesen Ausschreitungen ein Ende gemacht wird. Und wir werden ihnen ein Ende machen! Solidaridad Obrera
Was geht in Spanien vor? Jeder, der von dort kommt, hat sein Wort mitzureden, seine Geschichten auszubreiten, ein Urteil zu sprechen. Es ist heute Mode geworden, sich dort unten umzusehen, der Revolution und dem Bürgerkrieg einen Besuch abzustatten und mit einer Handvoll Zeitungsartikeln zurückzukehren. Man kann kein Blatt und keine Zeitschrift mehr aufschlagen, ohne eine Reportage über die spanischen Ereignisse zu finden. Was kann dabei herauskommen außer Oberflächlichkeit? Zunächst einmal kann eine gesellschaftliche Umwälzung nur danach richtig beurteilt werden, wie sie sich auf das tägliche Leben jedes einzelnen auswirkt. In dieses tägliche Leben »des Volkes« einzudringen ist aber nicht leicht. Außerdem verändert es sich von Tag zu Tag. Zwang und Spontaneität, Ideal und Notwendigkeit mischen sich dabei derart, daß nicht nur in den objektiven Sachverhalten, sondern auch im Bewußtsein derer, die als Handelnde oder Betrachter in die Ereignisse verwickelt sind, eine unübersehbare Verwirrung entsteht. Darin liegt sogar der eigentliche Charakter und vielleicht das größte Übel des Bürgerkriegs. Das ist der erste Schluß, der sich auf Grund einer raschen Überprüfung dessen,
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