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Der kurze Sommer der Anarchie

Der kurze Sommer der Anarchie

Titel: Der kurze Sommer der Anarchie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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»Muy bien«, sehr gut. Aus dem Saal wird Trueba gefragt, ob er nicht Kommunist sei. Er antwortet: Ja, Kommunist, das heißt, richtiger gesagt, Mitglied der Vereinigten Sozialistischen Parteien, aber das sei jetzt ohne Bedeutung, weil er hier den gesamten Kampfverband und die Volksfront vertrete.
Er ist nicht groß, stämmig, robust, war Bergarbeiter, dann Koch, saß im Gefängnis; er ist noch jung, halbmilitärisch angezogen, mit Ledergurt und Pistole.
Folgender Vorschlag wird eingebracht: Es sollte nur Bauern und Landarbeitern aus Tardienta gestattet sein, an dieser Versammlung teilzunehmen. Ein anderer Vorschlag: Teilnehmen könnten alle, aber auftreten dürften nur Bauern. Dieser Vorschlag wird angenommen.
Es spricht der Vorsitzende des Syndikats von Tardienta (Vereinigung der Landarbeiter und Bauern mit wenig Bodenbesitz, so etwas wie das Komitee der Landarmen). Er ist der Meinung, der gestrige Beschluß über die Kollektivierung sei nicht von der Mehrheit, sondern von einer kleinen Anzahl Bauern gefaßt worden. Auf jeden Fall müsse noch einmal darüber beraten werden.
Die Versammlung ist einverstanden.
Eine Stimme aus dem Hintergrund meldet, daß gestern beim Schlangestehen nach Tabak auf das Syndikat geschimpft worden sei. Der Sprecher fordert die gestrigen Kritiker auf vorzutreten. Sturm im Saal, Proteste und Beifall, Pfeifen, Schreie: »Muy bien«. Niemand bittet hierzu ums Wort.
Ein Bauer in mittleren Jahren empfiehlt verlegen, vorerst individuell zu arbeiten und später, nach dem Krieg, auf diese Frage zurückzukommen. Beifall. Zwei weitere Redner sind derselben Meinung.
Diskussion über die Verteilung der diesjährigen Ernte von konfisziertem Boden. Die einen fordern gleichmäßige Teilung nach Höfen, andere, daß das Syndikat nach Bedürftigkeit und Anzahl der Esser verteile.
Es steht noch Getreide auf dem Feld, das infolge des Krieges nicht eingebracht worden ist. Ein junger Bauer schlägt vor, jeder möge für sich, auf eigene Gefahr, unter feindlichem Feuer so viel Weizen abernten, wie er wolle. Wer mehr riskiere, der solle auch mehr bekommen. Wieder Beifall. Trueba greift ein. Dieser Vorschlag mißfällt ihm. »Wir sind alle Brüder und wollen uns wegen eines Sackes Getreide nicht unnötig Gefahren aussetzen.« Er rät, die Felder im Feuerbereich gemeinsam abzuernten; den Schutz der Bauern übernehmen Soldaten. Das Korn solle dann entsprechend der geleisteten Arbeit und Bedürftigkeit geteilt werden. Die Versammlung stimmt dem Vorschlag Truebas zu.
Es ist schon acht Uhr, und bald ist alles zu Ende. Doch da bringt ein neuer Redner das Ganze wieder aus dem Gleichgewicht. In erregten, leidenschaftlichen Worten redet er auf die Bewohner Tardientas ein, sie sollten endlich ihren Egoismus überwinden und alles gleichmäßig teilen. Werde denn nicht gerade dafür dieser blutige Krieg geführt? Man solle die gestrige Entscheidung gutheißen und sogleich den freien Kommunismus einführen. Man solle den Boden nicht nur bei Grundbesitzern, sondern auch bei Großbauern und Mittelbauern konfiszieren.
Schreie, Pfiffe, Schimpfen, Applaus, Rufe: »Muy bien«.
Nach diesem ersten Redner gehen noch fünf andere Anarchisten zur Attacke über. Die Versammlung ist völlig durcheinander, die einen applaudieren, die anderen schweigen. Alle sind müde.
Der Vorsitzende des Syndikats stellt anheim abzustimmen. Der erste anarchistische Redner tritt dagegen auf: Würden denn solche Dinge etwa durch Abstimmung entschieden?
Hier sei ein gemeinsamer Stoß nötig, einheitliches Streben, Sturm, Begeisterung! Bei Abstimmung denke jeder nur an sich. Abstimmung - das sei Egoismus! Man brauche keine Abstimmung!
Die Bauern sind verwirrt, die dröhnenden Phrasen entflammen sie. Obwohl die Mehrzahl gegen den anarchistischen Redner ist, gelingt es nicht, die Ordnung wiederherzustellen und etwa abzustimmen. Die Versammlung ist auf ein falsches Gleis geraten.
Jetzt ist kein Halten mehr. Doch Trueba findet plötzlich einen Ausweg. Er schlägt vor: Da es im Augenblick nicht möglich sei, zu einer Einigung zu kommen, sollten alle, die ihre Wirtschaft individuell bearbeiten wollen, ruhig weitermachen. Die aber, die ein Kollektiv schaffen wollen, sollten morgen früh um neun Uhr zu einer neuen Versammlung hier erscheinen. Diese Lösung gefällt allen. Nur die Anarchisten gehen verärgert davon.
    Michail Kol‘cov

    Kolonne Durruti. Freitag 14. und Samstag 15. August. Gespräch mit den Bauern von Pina: Ob sie mit der kollektiven Wirtschaft

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