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Der kurze Sommer der Anarchie

Der kurze Sommer der Anarchie

Titel: Der kurze Sommer der Anarchie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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besaß; und der Pfarrer. Einer unter ihnen, es wird ja nicht gerade der Pfarrer sein, hat gewöhnlich einen Sohn oder auch zwei, die sich ihre Anzüge in Zaragoza kaufen, den halben Tag im Cafe sitzen und jedes Mädchen ansprechen, das ihnen in die Nähe kommt. In Barcelona oder in Zaragoza sind diese Senoritos gewiß kleine Fische, aber im Dorf treten sie wie große Herren auf. Meistens gehören sie der Falange an; in der Gewißheit, daß Gesetz und Ordnung auf ihrer Seite stehen, tun sie sich keinen Zwang an und äußern ihre reaktionären Ansichten recht offen.
Nun marschiert die Kolonne Durruti ein, voller Begeisterung, aber sehr mangelhaft ausgerüstet. Ihr erster Schritt heißt limpiar: sie nehmen sich vor, alle Spuren von Faschismus zu tilgen, die es in Santa Maria geben mag. Mit andern Worten, wer unter den Genannten nicht rechtzeitig nach Zaragoza geflohen ist, wird erschossen, es sei denn, die Bewohner des Dorfes stellten einem von ihnen ein gutes Zeugnis aus. In diesem Fall wird der Betreffende in Ruhe gelassen. Zweitens holt die Kolonne aus dem Gemeindehaus alle Grundbücher und Eigentumsurkunden, bringt sie auf den Dorfplatz und zündet sie an. Dieser Vorgang ist von praktischer Bedeutung, er ist aber zugleich ein ritueller Akt. Alle Einwohner des Ortes versammeln sich, und der Anführer der Kolonne erklärt ihnen die Prinzipien des freiheitlichen Kommunismus. Dabei setzt es regelmäßig ein paar Seitenhiebe auf die Gefahren des Stalinismus, die auch in einem konservativen Klub Anklang fänden. Im Dorf regt sich ein freieres Gefühl, und manche Hoffnungen werden laut.
    John Langdon-Davies

    Wenn die Kolonne Durruti auf ihrem Vormarsch in ein Dorf kam, so setzten ihre politischen Berater als erstes den Richter ab. Die lokalen Probleme lösten sie durch die folgenden drei Fragen: »Wo ist das Amtsgericht? Wo ist das Katasteramt mit dem Grundbuch? Wo ist das Gefängnis?« Dann verbrannten sie die Gerichtsakten und die Grundbücher und befreiten die Gefangenen.
    Manuel Benavides

    Ganze Dörfer schickten mit vereinten Kräften Wagenladungen von Proviant an die Front. Manche trieben den Enthusiasmus so weit, daß sie ihr bestes Vieh und Geflügel abschlachteten und sich so an den Rand des Ruins brachten. Besonders überraschend war das Verhalten der aragonesischen Bauern. In dieser Region ist von Lokalpatriotismus wenig zu spüren; es hätte niemanden gewundert, wenn ihre Bewohner sich dagegen gewehrt hätten, daß Katalonien und Navarra ihren Kampf auf dem Boden von Aragon austrugen. Doch die Bauern der Provinz begrüßten die anrückenden Kolonnen aus Barcelona mit üppigen Gastmählern und die Nachzügler mit melancholischer Höflichkeit und Entschuldigungen dafür, daß sie ihnen nur noch Brot und Wein anbieten konnten. Sie wären beleidigt gewesen, wenn die Milizen ihre Gaben nicht angenommen hätten.
    Frank Jellinek

    Ich fuhr mit meinem Motorrad in Richtung Süden, und ich passierte ein verbarrikadiertes Dorf nach dem anderen. Überall arbeiteten die Leute auf dem Feld, ich vergaß beinahe den nahen Schrecken in der Bläue des Tages, unter den Olivenbäumen, von denen es heißt, sie »erwachten nur im Mondschein zum Leben«.
Ich war etwas beunruhigt, weil mein Motor eigenartige Geräusche von sich gab. Ich hatte das Motorrad am Vorabend in eine Garage eingestellt, und die kommunistischen Milizsoldaten, die sie betrieben, hatten mir versprochen, die Maschine in Ordnung zu bringen. Das hatten sie so gründlich getan, daß ich nur noch mit Vollgas fahren konnte; so landete ich im ersten Gang mit fünfunddreißig Stundenkilometern vor den Bajonetten einer Barrikade.
»Guten Morgen«, sagte ich. »Gibt es hier im Dorf einen Mechaniker, der mir helfen kann?«
Das war eine überflüssige Frage, denn in jedem spanischen Dorf gibt es einen Mechaniker, der nichts zu tun hat, sich auf seine Sache versteht und jederzeit hilfsbereit ist. Ein paar Tage später erzählte ich meinem Freund, dem Marquis, von meinem Abenteuer; er strahlte vor Vergnügen, als er hörte, daß auch ein anarcho-syndikalistischer Milizsoldat in einer niedergebrannten Kirche immer noch ein Spanier, ein Fachmann und ein Gentleman blieb. Der Wachmann an der Barrikade wandte sich einem Jungen im blauen Overall zu. »Juan«, rief er, »führ den Genossen hier zum Mechanisierten Transport-Industrie-Zentrum.« Wir schoben das Motorrad die Dorfstraße hinunter, Juan und ich. Das Mechanisierte Transport-Industrie-Zentrum lag um die Ecke. Einen Monat

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