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Der kurze Sommer der Anarchie

Der kurze Sommer der Anarchie

Titel: Der kurze Sommer der Anarchie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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seiner Geschichte der russischen Revolution. »In ihrer Masse sind die Soldaten umso fähiger, die Bajonette zur Seite zu wenden oder mit ihnen zum Volke überzugehen, je mehr sie sich davon überzeugen, daß die Aufständischen sich wirklich erhoben haben; daß es nicht nur eine Demonstration ist, nach der man wieder in die Kaserne zurückkehren und Antwort stehen muß; daß es ein Kampf auf Leben und Tod ist; daß das Volk zu siegen imstande ist, wenn man sich ihm anschließt.«
Daraus folgt,, daß Francos Sieg aus seiner materiellen Überlegenheit, aus der Unterstützung fremder Mächte, aus Furcht und Zwang im Innern nicht, jedenfalls nicht allein erklärbar ist. Offensichtlich hat der Faschismus auch in Spanien starke ideologische Motive ins Spiel gebracht. Die Rolle, die dieser Faktor bei der Niederlage der spanischen Revolution spielte, wird oft unterschätzt; sie gilt es ins Auge zufassen. Die ideologische Plattform der Anarchisten war einfach bis zur Primitivität, sie war für jeden, der von seiner eigenen Arbeit lebte, auf Anhieb verständlich, und sie war insofern rational, als sie sich der Überprüfung durch die Praxis stellte; ja sie ließ ein sofortiges Urteil nicht nur zu, sondern forderte es auf die naivste Art und Weise heraus. Von der traditionellen Vorsicht der Marxisten, die mit unabsehbaren, undurchsichtigen Transformationsperioden rechnen, waren die Anarchisten immer weit entfernt. Ihre unbedingte Zuversicht, die Unmittelbarkeit, mit der sie den Sprung in das Reich der Freiheit versprechen, macht sie stark und beflügelt die Phantasie ihrer Anhänger, solange die Probe aufs Exempel aussteht. Sie erweist sich als politische Schwäche, sobald die Revolution ihre ersten Siege errungen hat und den endlosen Schwierigkeiten des Aufbaus begegnet. Das Vertrauen der Massen schlägt in Demoralisierung um, wenn die große Verheißung nicht eingelöst werden kann, wenn die Praxis die Ideologie falsifiziert.
Dabei fällt gerade die Prinzipienfestigkeit der Anarchisten auf sie selbst zurück. Die Führer der CNT-FAI waren nicht korrupt; das konnte jeder sehen. Die meisten von ihnen waren Arbeiter; die Organisation bezahlte sie nicht; sie standen jenseits des Verdachts, Bonzen, Kompromißler, Bürokraten zu sein. Aber der unbedingte moralische Anspruch, den sie an sich selbst und an ihre Bewegung stellten, trug zu ihrem Verhängnis bei. Er wandte sich als nagender Zweifel, als skrupulöses Zögern gegen sie, sobald ihnen auch nur der erste taktische Schritt auf dem Weg zur Macht abverlangt wurde. Den Problemen der Bündnispolitik waren sie nie gewachsen. Sie verfingen sich im kompromißlosen Entweder-Oder ihrer eigenen Ideologie. Die Verheißungen des Faschismus lagen dagegen von vornherein außerhalb jeder möglichen Praxis. Ein Zusammenstoß mit der gesellschaftlichen Realität war ausgeschlossen. Was die Ehre der spanischen Nation gebietet oder worauf die Wünsche der Heiligen Jungfrau zielen, läßt sich rational nicht bestimmen; der Himmel pflegt seine ideologischen Nutznießer nicht zu desavouieren. Je transzendenter die Werte, auf die sich eine Ideologie beruft, desto größer ist gewöhnlich die Skrupellosigkeit ihrer Verfechter. Francos Christentum war und ist der Deckname für Feuerkraft und Rendite; sein Nationalgefühl äußerte sich darin, daß er den Bürgerkrieg internationalisierte und seine maurischen Söldner auf das spanische Volk losließ; als Tradition gab er die terroristische Modernisierung des Landes mit den Mitteln des Faschismus aus, und die Liquidation aller herkömmlichen Normen und Rechtsvorstellungen nannte er Gesetz und Ordnung.
Gerade die totale Irrationalität seiner Schlagworte kam der ideologischen Faszination des Faschismus zugute. In Spanien wie zuvor in Italien und Deutschland mobilisierte er unbewußte Kräfte, von deren Existenz die Linke keine Notiz genommen hatte: Ängste und Ressentiments, die auch in der Arbeiterklasse lebendig waren. Was die Anarchisten versprachen, aber nicht einlösen konnten, war eine völlig diesseitige, ganz und gar zukünftige Welt, in der Staat und Kirche, Familie und Eigentum aufhören sollten zu existieren. Aber diese Institutionen waren nicht nur verhaßt, sondern auch vertraut, und die Zukunft der Anarchie weckte nicht nur Sehnsucht, sondern auch verborgene Ängste von elementarer Kraft. Dagegen bot der Faschismus die Vergangenheit als Fluchtburg an — eine Vergangenheit, die es natürlich nie gegeben hatte. Der Haß auf die moderne

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