Der kurze Sommer der Anarchie
verabscheuen beginnt, und zu dem nicht weniger traurigen Fall, daß ein Volk durch eine Revolution, die es selber stets herbeigewünscht hat, völlig ruiniert wird.
Für den Regionalen Verteidigungsrat von Aragon
Der Präsident: Joaquin Ascaso
Fraga, im Oktober 1936
Jose Peirats 2
Fünfte Glosse. Über den Feind
Wo ist der Feind? Er taucht in dieser Geschichte immer nur am Rand des Gesichtsfeldes auf: ein beweglicher Fleck am Fenster hinter dem Maschinengewehr, ein Schatten jenseits der Barrikade, ein Greis in einem Büro, eine Silhouette im Schützengraben. Er bleibt fast immer anonym. Aber zugleich ist der Feind allgegenwärtig. Das ist keine wahnhafte Einbildung. Revolution und Krieg sind zweierlei. Wer nicht nur einen militärischen Gegner besiegen, sondern die Gesellschaft, in der er lebt, umwälzen will, für den gibt es keine Hauptkampflinie, an der sich Freund und Feind weithin sichtbar scheiden.
Die spanische Revolution hatte es keineswegs nur mit Franco und seiner Clique von faschistischen Generälen zu tun. Vom ersten Tag an waren ihre Gegner auch im eigenen Lager am Werk. Die Anarchisten sahen sich im Juli 1936 in eine Koalition mit ihren Erbfeinden gepreßt. Die Unbeständigkeit dieser Verbindung lag auf der Hand. Die CNT-FAI kämpfte gegen die Faschisten Seite an Seite mit den Resten einer Armee und einer Polizei, die kurz zuvor noch Treibjagden auf sie veranstaltet hatten. Luis Companys saß in seinem Regierungspalast jenen Männern gegenüber, die er jahrelang hatte einsperren lassen. Die Spanische Republik hat den ganzen Bürgerkrieg hindurch auf ihre Legitimität und Verfassungstreue gepocht; man unterschied zwischen »Rebellen«, womit die putschenden Generäle, und »Loyalisten«, womit die Verteidiger der Republik gemeint waren. Der Hauptkraft des Widerstandes aber, den Anarchisten, lag nichts ferner als die Loyalität zu einem Staat, den sie vielmehr aus tiefstem Herzen verachtet und nach Kräften bekämpft hatten. Nur für die eigentlichen »Republikaner«, das heißt, die bürgerlichen Parteien der Mitte und ihre Verbündeten, die Sozialdemokraten, war die bewaffnete Auseinandersetzung ein Verteidigungskrieg: sie wollten den Status quo ante, die Staatsmacht in ihrer Hand und damit auch die Klassenherrschaft, für die sie einstanden, gegen die Ansprüche der Faschisten behaupten. Dabei waren sie dem Kompromiß, dem Arrangement mit dem Gegner keineswegs ganz abgeneigt. Dagegen ging es der CNT-FAI als der organisierten Avantgarde des spanischen Stadt- und Landproletariats darum, reinen Tisch zu machen. Ihr Kampf war offensiv. Sein Ziel war eine neue Gesellschaft. Zu diesem Ende mußte der schwache, erwiesenermaßen lebensunfähige Staat des Kleinbürgertums und seiner Parteien aus dem Weg geräumt werden. Ihren Prinzipien getreu, hatten die Anarchisten dabei im Sinn, den Staat überhaupt abzuschaffen und in Spanien ein Reich der Freiheit zu errichten. Auf die kleine Kommunistische Partei Spaniens konnten sie dabei natürlich nicht zählen; sie schlug sich von Anfang an resolut auf die Seite der bürgerlichen Republikaner. Die Widersprüche im eigenen Lager ließen keine Vermittlung zu; der Bürgerkrieg im Bürgerkrieg war eine ständige Drohung. Dagegen ist es Franco gelungen, die Gegensätze auf seiner Seite (zwischen Militärjunta und Falange, Anhängern der Bourbonen und Carlisten) zu verschleiern und zu unterdrücken. Nach außen hin entstand das Bild einer monolithischen Einheit: »Ein Staat. Ein Land. Ein Führer. «
Die Generäle hielten es für ausgeschlossen, daß das spanische Volk den Kampf gegen sie aufnehmen würde. Ihre Zuversicht gründete auf der materiellen Überlegenheit der Armee. Jede Auszählung nach Truppenstärke und ökonomischen Mitteln, nach Gewehren und Munition, nach Flugzeugen und Panzern mußte zu dem Schluß führen, daß der Widerstand gegen Franco aussichtslos war. Aber mit einem militärisch überlegenen Feind hat es jede Revolution zu tun. Das Volk, das sich zum gewaltsamen Sturz der Staatsmacht entschließt, steht immer einer Armee gegenüber, die unvergleichlich besser ausgebildet und gerüstet ist. Es hat keine Chance, solange die Truppen »zuverlässig« bleiben und ihren Vorgesetzten gehorchen. Entscheidend für den Ausgang des Kampfes ist die politische Kraft der Revolutionäre. »Es unterliegt keinem Zweifel, daß das Schicksal jeder Revolution in einer bestimmten Etappe durch den Umschwung in der Stimmung der Armee entschieden wird«, sagt Trockij in
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