Der Kuss der Göttin (German Edition)
doch mein Kopf ist zu müde.
»Ich schätze, deshalb ist ihr Symbol dieses Anch-Ding. Das Anch für die Ewigkeit und der Schäferstab für die Führerschaft.«
»Was ist mit dem anderen?«
»Welches andere?«
Nachdenken tut so weh. »Die Feder mit der Flamme.«
Benson kaut auf seiner Unterlippe und schaut ein paar Sekunden in den Himmel hinauf. »Vielleicht ein Phönix ? Du weißt schon, sie sterben und werden wiedergeboren, wie die Erdgebundenen.«
»Und jedes Mal stärker«, sage ich, ohne recht zu wissen, wessen Worte das sind. »Wenn die Curatoria ihren Job machen, werden die Erdgebundenen stärker.«
Ich weiß nicht einmal, was das bedeutet, aber die Anstrengung bringt mich wieder zum Schweigen.
»Kannst du dich aufsetzen?«, fragt Benson nach einer Weile.
»Vielleicht.«
Er hilft mir auf und erlaubt mir, mich an ihn zu lehnen. Meine Muskeln schmerzen und ich bin wieder hungrig. Ich versteife mich, als mir klar wird, dass ich jedes Mal, wenn ich etwas tue, das damit zu tun hat, eine Erdgebundene zu sein, hungrig werde. »Ich habe Hunger. Die ganze Zeit«, sage ich mit ausdrucksloser Stimme.
»Was?«, fragt Benson.
»Seit dem Absturz habe ich die ganze Zeit Hunger. Aber vor allem, seit ich angefangen habe, meine Kräfte zu benutzen.« Ich blicke zu Benson auf. »Und Reese und Jay haben die ganze Zeit versucht, mich dazu zu bringen, mehr zu essen. Sogar Elizabeth hat mir gesagt, ich müsse über meine Schuldgefühle hinwegkommen und essen. Sie wussten es alle – mein Erdgebundenen-Körper muss mehr essen.«
»Das ergibt wohl Sinn«, sagt Benson langsam. »Du machst etwas aus dem Nichts, und ich nehme an, dein Gehirn arbeitet im Turbogang. So etwas braucht Treibstoff.«
»Aber es war erst nach dem Absturz. Ich war immer eine Erdgebundene; man wird nicht zur Erdgebundenen. Alles fing nach dem Absturz an. Was an dem Absturz hat diesen Teil von mir … geweckt?«
Benson seufzt. »Ich habe keine Ahnung, Tave. Ich entdecke jetzt erst, wie wenig ich eigentlich weiß«, murmelt er.
Ist er sauer? Oder nur verwirrt und gefrustet wie ich?
Ich kann nicht mehr denken.
»Wir sollten gehen«, sage ich. »Ich brauche etwas zu essen und wir müssen weg.«
»Ich glaube, du brauchst noch ein paar Minuten«, sagt Benson und stützt mich, als ich unsicher auf die Beine komme.
»Wir haben vielleicht keine paar Minuten mehr. Irgendwer weiß sicher von diesem Ort.« Meine Worte sind schleppend und ich hole tief Luft und konzentriere mich besser. »Unterschätze die Bruderschaften nicht. Das könnte dein Tod sein.«
Rebeccas Erinnerungen flitzen durch meinen Kopf wie Glühwürmchen, scheinen auf und erlöschen beinahe zufällig. Die Begegnung mit Quinn, unser Leben, unsere Flucht, die Erdhöhle, das Tagebuchschreiben.
Das Tagebuch.
»Ich brauche das Tagebuch«, sage ich. »Rebeccas.« Ich gehe auf die Autotür zu, und Benson beeilt sich, mich zu stützen. »Ich muss sichergehen …« Ich schnappe es mir und blättere die Seiten um, bis ich zu der seltsamen Sprache komme, und ein Lächeln breitet sich über mein Gesicht. Ein Grinsen. Dann werfe ich den Kopf zurück und lache. Es schallt durch den Wald. »Ich kann es lesen! Oh, Benson, sie war genial! Das ist Latein – nicht genau Latein, wie du sagtest. Ein Gebrauchslatein. Es ist …« Ich denke nach, versuche, die Einzelheiten aus einer Erinnerungsdatenbank zu suchen, die wie ein Schrank ist, den ich nur einen Spalt öffnen kann. »Es stammt aus Rom – aus dem alten Rom.« Mein Kopf hämmert von der Anstrengung, diese winzige Information herauszusuchen.
Ich blicke überrascht auf, als Benson schnaubt. »Vulgärlatein?«, fragt er. »Du kannst Vulgärlatein lesen?«
»Es ist nicht vulgär«, kontere ich.
»Nein, so nennt man das Gebrauchslatein – ich habe letztes Semester etwas darüber gelesen. Es entstand ungefähr 800 vor Christus, als die Römer versucht haben, im ganzen Reich eine universelle Sprache zu schaffen. Es ist im Grunde die Ursprungssprache aller romanischen Sprachen. Und du kannst es lesen.« Er grinst. »Das ist der Hammer.«
Ernüchtert blicke ich auf das Tagebuch hinab. »Hier stehen meine Antworten. Sie hat es für mich in der Erdhöhle gelassen. Sie ist unsere persönliche Pyramide, genau wie es in Quinns Tagebuch stand. Ein Ort, wo wir alle unsere Sachen versteckt haben, damit wir uns eines Tages erinnern können. Wir haben sie genau für so einen Fall geschaffen. Damit wir uns aufeinander stützen konnten, nicht auf eine der
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