Der Kuss der Göttin (German Edition)
leicht – zum ersten Mal seit … ich weiß es nicht einmal.
Als ich fertig angezogen bin, gehe ich nach unten und sehe eine Kanne, in der noch zwei oder drei Tassen Kaffee warm gestellt sind. Ich knirsche mit den Zähnen beim Gedanken, dass das eine aufmerksame Geste von ihnen war. Ich schalte die Warmhalteplatte aus und wünsche mir, mein Hirn auszuschalten – oder besser noch meine Probleme –, wäre so einfach.
Aber ein Haftzettel am Kühlschrank äschert diesen Wunsch ein.
Dr. Stanley, 10.00 Uhr. Nicht vergessen!
Wie könnte ich das.
Als ich nach meinem Hausschlüssel greife, hält meine Hand beim Anblick von Reese’ Schlüsselkette inne, die unschuldig daneben hängt.
Ich strecke einen Finger aus und berühre den riesigen Schlüsselbund – Reese hat mehr Schlüssel als mein alter Schul-Hausmeister, ich schwöre es –, und meine Finger beginnen zu zittern, als mir allerlei Möglichkeiten durch den Kopf schießen.
Furcht einflößende Möglichkeiten.
Ich nehme die Schlüssel nicht.
Noch nicht.
Als ich auf der Veranda stehe, pfeift ein kalter Wind durch meinen Kapuzenpulli, und ich bin nahe dran, die Tür noch einmal aufzuschließen, um meine Windjacke zu holen. Trotz des klaren, sonnigen Himmels ist der Wind ungewöhnlich kühl. Aber es ist nicht so weit, und als ich den Bürgersteig entlanggehe, merke ich, wie der raue Wind den Nebel vertreibt, der sich den ganzen Morgen um meine Gedanken gelegt hatte.
Besser als Kaffee.
Ich bleibe fast abrupt stehen, als ich den Kerl mit der Son nenbrille wieder sehe. Einmal ist keinmal, zweimal könnte ein Zufall sein. Aber dreimal? Das glaube ich nicht. Und ich bin nicht einmal in der Nähe der Park Street oder von Elizabeth’ Büro. Er steht einfach so zwei Häuser weiter an das Schild einer selten benutzten Bushaltestelle gelehnt, aber ich lasse mich nicht täuschen. Er beobachtet mich.
Ich gebe vor, ihn nicht gesehen zu haben, obwohl mein Herz rast, dass ich den Puls im Kopf pochen spüre und sogar der Wind davon übertönt wird. Aber ich bringe es nicht über mich, tatsächlich auf Armeslänge entfernt an ihm vorbeizugehen, also überquere ich nach einem raschen Umblicken die Straße und beobachte ihn aus dem Augenwinkel. Wir tun beide so, als würden wir den anderen nicht sehen.
Als ich um die Ecke biege, schließt jemand zu mir auf, aber ich bin so von der Frage abgelenkt, wie lange es wohl dauern wird, bis mir der Sonnenbrillentyp wieder auf den Fersen ist, dass ich eine gute halbe Minute brauche, bevor ich merke, dass es Quinn ist – ziemlich schneidig ganz in Dunkelgrau und Schwarz.
»Quinn!«, keuche ich und bleibe stehen, während ich meinen Puls bis in die Fingerspitzen spüre. »Ich wollte dich gerade suchen gehen!«
»Geh mit mir weiter«, sagt Quinn aus dem Mundwinkel, als solle niemand bemerken, dass er mit mir spricht.
In mir wallt Ärger auf – ich bin doch nicht seine peinliche Freundin oder so etwas –, aber ich schiebe den Zorn beiseite und beeile mich, zu ihm aufzuschließen. »Quinn, ich muss mit dir über …«
» ’ s ist ein Problem«, unterbricht er mich.
»Wie bitte?«, frage ich. ’ s ist? Was soll das denn?
»Sie haben uns entdeckt.« Er schweigt und sieht mich zum ersten Mal an. »Du weißt es.«
Ich schlucke trocken und nicke, seine Worte bestätigen meinen Verdacht. Ich weiß genau genommen nicht, wer sie sind – Reese und Jay? Die Leute, vor denen sie mich verstecken? Der Sonnenbrillentyp? Aber jemand hat mich eindeutig gefunden.
»Wir müssen nach Camden gehen. Wir haben keine Veranlassung, noch länger zu warten.«
Ich beiße die Zähne zusammen; ich will nicht sauer auf ihn sein, aber ich hasse es, wie er mich an der Nase herumführt. Durch meine Gefühle. Aber ich bin dem hilflos ausgeliefert. Und ich hasse das.
Nicht dass ich aufgeben würde. »Du sagtest, du würdest etwas mitbringen. Etwas, das mir hilft zu verstehen.« Ich würde am liebsten stehen bleiben, die Fäuste auf die Hüften stemmen und mich weigern, auch nur einen Schritt weiter mit ihm zu gehen, bevor er mir Antworten liefert, aber ein rascher Blick über meine Schulter zeigt mir einen schwarzen Fleck in der Ferne, von dem ich mir ziemlich sicher bin, dass es der Sonnenbrillentyp ist, und ich will nicht das Risiko eingehen, dass er uns einholt.
Ich beschleunige meine Schritte.
»Camden. Alles wartet in Camden.«
»Was ist in Camden? Wo ist Camden überhaupt?«, blaffe ich, denn die Anspannung durch Quinns mysteriöses Verhalten und
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