Der Kuss der Göttin (German Edition)
schleppe, zittern mir die Knie, und ich kann den Drang zu laufen nur ein paar Schritte zurückhalten, bevor der Fluchtinstinkt einsetzt und ich mich auf mein Bett werfe und lautlos fluche, als das Bettgestell ohrenbetäubend protestierend knarzt.
Ich habe eine gute halbe Stunde in meinem dunklen Zimmer gesessen und an die Decke gestarrt, als ich höre, wie Reese Jay zuflüstert, leise zu sein, während sie auf Zehenspitzen an meinem Zimmer vorübergehen. Ich werde keine bessere Gelegenheit mehr bekommen. Ich spähe durch den Türspalt, und sobald sie außer Sicht sind, folge ich ihnen lautlos auf dem Teppichläufer.
Ihre Tür steht nur wenige Zentimeter auf, und laute Stimmen dringen heraus, während Kleiderbügel hörbar an der Kleiderstange im Schrank hin- und hergeschoben werden.
»Ich nehme ein Taxi – falls Daniel anruft … sag ihm, ich bin krank.«
»Wir sollten es erst Tave sagen«, sagt Jay und klingt seltsam ernst dabei.
»Ich kann nicht. Ich kann nicht …« Ihre Stimme bricht ab, und trotz allem, was in den letzten Tagen passiert ist, bin ich erschrocken, als mir klar wird, dass sie weint! Die starke, beinahe gefühllose Reese. »Du verstehst nicht, wie es beim letzten Mal war. Ich werde ihr und mir das nicht noch einmal antun. Ich muss sicher sein, bevor wir es tun. Ich muss wissen , dass er es ist.«
»Sammi …«
»Nein, Jay «, zischt sie.
»Samantha.« Das Wort ist ein Flüstern, aber Reese antwortet nicht. »Komm her.«
Als er weiterspricht, sind seine Worte gedämpft, und ich sehe vor meinem inneren Auge, wie er sie im Arm hält, das Gesicht an ihrem Hals vergraben.
»Egal, was du brauchst«, sagt er. »Sag mir einfach, was ich tun soll.«
Meine Hände zittern, als ich zurückweiche und in mein Zimmer fliehe. Sag mir, was ich tun soll . Dieselben Worte hat Benson vor ein paar Stunden zu mir gesagt. Der Vergleich gefällt mir nicht.
Ich reibe mir mit den Handballen die Augen und versuche, nicht zu weinen. Ich habe es so satt, hilflos in meinem eigenen Leben zu sein. Niemand will mir etwas sagen; ich versuche, alles allein herauszufinden, und weiß nur die Hälfte dessen, was ich wissen müsste. Ich hasse das!
Ich blinzle in die Dunkelheit, als mir ein Gedanke kommt.
Scheiß drauf. Warum soll ich auf Quinn warten. Ich weiß, wo er wohnt – morgen gehe ich zu ihm .
K apitel 14
M eine Lungen schmerzen – ich kann nicht atmen.
Wach auf!
Wach auf!
Endlich dringt das dämmerige Grau des Sonnenaufgangs durch meine Augenlider, und ich setze mich auf, schnappe nach Luft. Mein Kopf dreht sich, und der Schmerz bleibt in meiner Brust, als ich atme, so schnell ich kann.
Wieder der Traum, in dem ich ertrinke. Wieder habe ich verzweifelt um mich geschlagen und nach Dingen gegriffen.
Aber es ergibt jetzt mehr Sinn; ich greife nach Dingen, die ich gemacht habe. Genau wie den Labello, den Stift und das Wasser. Ich versuche, mich zu retten – zu überleben. Mein Gehirn wusste es vor mir.
Ich blinzle die düstere Schwärze des Wassers weg, und mein Zimmer schwimmt in mein Blickfeld, beleuchtet von der eben aufgehenden Sonne. Mein Nachthemd ist klamm vor Schweiß, aber mir ist so kalt, dass ich meine Finger und Zehen nicht spüre. Ich taumle ins Bad und halte meine zitternden Gliedmaßen mehrere Minuten unter kochend heißes Wasser, bis ich alle Finger und Zehen wieder spüren kann.
Dann fällt es mir ein. Reese verreist heute.
Samantha . Ich hebe das Gesicht in den dampfenden Strahl der Dusche und versuche, Jays Stimme wegzuwaschen.
Unten trinken Reese und Jay Kaffee: Reese macht sich fertig, um mit dem Taxi zum Flughafen zu fahren; Jay hat einen normalen Arbeitstag vor sich.
Trotz des Sturms letzte Nacht ist der Tag hell und klar, die Sonne scheint. Perfekt – ich mache heute einen langen Spaziergang.
Ich verstecke mich oben und warte, bis beide weg sind. Es ist feige, ich weiß, aber ich werde meinen ganzen Mut brauchen, um mit allem anderen in meinem Leben zurechtzukommen. Endlich höre ich das Klacken der Eingangstür und das unverkennbare dumpfe Geräusch des Schlosses.
Sie sind weg.
Ich schleiche auf Zehenspitzen zum Ende des Flurs und ziehe mit einem zögerlichen Finger den Saum des Vorhangs zur Seite, beobachte sie, wie sie sich einen Abschiedskuss geben – das löst schon wieder ein Gefühl des Hin- und Hergerissenseins in mir aus –, bevor Jay zu Fuß die Straße entlanggeht und das Taxi in die andere Richtung rollt.
Der Druck auf meiner Brust lässt nach, und ich atme
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