Der Kuss der Göttin (German Edition)
die Tatsache, dass ich verfolgt werde, ergibt keine besonders glücklich machende Mischung.
»Wir treffen uns dort«, sagt er, als hätte ich überhaupt nichts gesagt.
»Warum kannst du nicht einfach mit mir sprechen ?«, frage ich entnervt.
Er sagt nichts, sondern verlängert nur seine Schritte. »Sag es niemandem«, zischt er.
»Quinn!« Ich greife nach seinem Arm, als er von der ruhigen Wohngegend auf die belebte Promenade einer Touristengegend einbiegt, aber er entkommt mir in letzter Sekunde. Ich versuche, ihm zu folgen, doch jetzt sind mir Leute im Weg, während er ihnen gewandt ausweicht. Mein schlimmes Bein sticht, als wolle es mich warnen. Ich weiß nicht, ob ich ihn selbst mit zwei gesunden Beinen erwischt hätte.
Ich fluche lautlos vor mich hin. Verfluche mich selbst, Quinn, mein Herz und sein wildes Schlagen. Warum kann er nicht einfach an Ort und Stelle bleiben? Oder mir wenigstens eine direkte Antwort geben? In normalem Englisch. Er hat mich zwar an einem besseren Ort stehen lassen als in der leeren Straße, in der wir vorher waren, denn es ist schwer, in einer nicht existenten Menge einen Verfolger abzuschütteln, aber so wollte ich das nicht! Er weiß etwas, und ich muss herausfinden, was. Ich habe den – verhältnismäßig rationalen – Verdacht, dass meine Sicherheit auf dem Spiel steht, und er läuft davon. Idiot.
Dennoch bin ich mir aufgrund der Richtung, in der er verschwunden ist, ziemlich sicher, dass er an denselben Ort geht, zu dem ich wollte, bevor ich ihn getroffen habe. Und diesmal werde ich ihn nicht so einfach davonkommen lassen. Heute wird mir irgendjemand irgendetwas sagen.
Ich mache Umwege, und nach ungefähr sechsmal Abbiegen bin ich mir ziemlich sicher, dass ich den Sonnenbrillentypen abgehängt habe. Daher gehe ich ein paar Blocks zurück, sehe mich jedoch ungefähr alle dreißig Meter um, aber kein Verfolger ist in Sicht. Ich atme ein klein wenig leichter und nehme meinen ursprünglichen Weg wieder auf. Ich brauche noch einmal zehn Minuten, um mein Ziel zu erreichen, aber schließlich sehe ich das Feinkostgeschäft, das das ganze Fiasko ausgelöst hat, aus dem mein Leben jetzt besteht.
Doch Quinns Haus ist nicht da.
Die weiße Veranda, die rote Tür, das Dreieck, sogar die fröhlichen weinroten und gelben Tulpen – alles weg. Das ganze Grundstück ist mit Gras und ein paar Bäumen bewachsen, und ich glaube, es gehört eigentlich zum Garten des rechten Nebenhauses … und das schon sehr lange.
Die Minuten verfliegen, während ich mitten auf dem Parkplatz stehe und an die ganzen Seltsamkeiten denke, die ich diese Woche gesehen habe: das Haus, Quinn, die Dreiecke, die Gasse, die verschwunden ist, die flackernde Frau, die verschwindenden Labellos und Stifte.
Benson hat sie auch gesehen , ermahne ich mich. Ein paar davon. Mein Kinn zittert, während ich gegen Tränen der Verzweiflung kämpfe. Ich balle die Fäuste und plötzlich ist da ein eisiges, kaltes Gewicht in einer von ihnen. Ich öffne die Hand und lasse den Inhalt auf den Boden fallen, als könne er mich verbrennen.
Es ist das Medaillon, das meine Mutter immer getragen hat – und das sie von ihrer Mutter bekommen hat. Sie trug es in dem Flugzeug. Ich habe es nie wiedergesehen. Habe es nicht über mich gebracht, danach zu fragen.
Jetzt ist es da. Auf dem Boden. Ich habe es gemacht . Ohne auch nur nachzudenken.
Wie das Wasser. Das Wasser, das Bensons Mitbewohner hätte töten können.
Entsetzen schüttelt meinen ganzen Körper. Wie läuft man vor sich selbst davon?
»Ich bin nicht verrückt«, flüstere ich in den Wind, dann stehe ich da und starre auf das verschnörkelte Silberstück auf dem Boden, bis es verschwindet.
K apitel 15
I ch bin jetzt schon erschöpft. Nicht nur von meinem langen Spaziergang, um meinen Verfolger abzuschütteln, sondern wegen allem, was geschehen ist. Das passiert ständig. Mein Schritt ist langsam und schleppend, aber irgendwann führt er mich zu Elizabeth’ Büro, wo sie mich hereinbittet, als wäre es ein Tag wie jeder andere.
Ist es aber nicht.
Sie erwähnt nicht einmal, dass sie um die Sitzung gebeten hat, nicht ich.
Oder dass Reese weg ist.
Der einzige Grund, weshalb ich hier bin, ist, den Anschein aufrechtzuerhalten, dass alles normal ist – dass ich immer noch das unwissende Kind bin, für das sie mich halten. Meine Gefühle sind komplett durcheinander; ich bin wütend, frustriert und verwirrt, und die Verzweiflung frisst mich langsam von innen auf. Ich weiß, ich
Weitere Kostenlose Bücher