Der Kuss der Göttin (German Edition)
genügt, dass ich meinen Blick von ihrem losreißen kann – den hypnotischen Einfluss brechen, den sie auf mich zu haben scheint. Unsere Sitzung ist noch nicht einmal halb vorbei, aber wir hatten immer die Regel, dass ich gehen kann, wenn ich das Bedürfnis danach habe.
Und ich habe das Bedürfnis.
»Sind wir?«, fragt sie.
Ich schaue sie nicht an, ich kann nicht. Ich nicke nur, hebe meinen Rucksack vom Boden neben der Couch auf und stapfe zur Tür.
»Ich … ich habe neulich mit deiner Tante gesprochen«, hält Elizabeth mich zurück.
Ich schaffe es, nicht höhnisch zu schnauben.
Aber nur knapp.
»Und ich weiß, sie ist für ein paar Tage auf eine wichtige Geschäftsreise gegangen.« Elizabeth zögert und meine Nerven flattern plötzlich. Ich drehe mich zu ihr um, meine Fin gerspitzen ruhen noch auf dem Türknauf – es juckt mich, von hier zu fliehen.
Etwas knistert in der Luft – eine Veränderung – und das macht mir Angst.
»Wenn sie wiederkommt, versuchen wir eine andere Methode der … der Therapie. Ich denke, es wird dir gefallen«, fügt sie hinzu.
Ich nicke, und meine Finger ziehen am Knauf, der meine Flucht ermöglicht. Ich schlüpfe durch die Tür, ohne sie ganz zu öffnen, und hoffe, sie sieht nicht das Zittern meiner jetzt weichen Knie.
Sie werden es wirklich versuchen, den Sog oder wie das heißt – das Ding, von dem sie fürchtet, dass es mir das Hirn verbrutzeln wird.
Gedanken an Elektrizität und heiße Säure gehen mir durch den Kopf, und ich versuche, nicht weiter darüber nachzudenken – das würde sie doch sicher nicht tun.
Doch andererseits: Was weiß ich schon darüber, was Elizabeth tun würde und was nich t?
Ich bekämpfe den Drang, aus dem Büro zu rennen, während ihre Worte in meinem Kopf widerhallen. Ich weiß nicht, wie ich dich überzeugen kann, dass ich nur dein Bestes will. Das hast du einmal geglaubt .
Bin ich so naiv, dass ich alles glaube, was ich höre?
Vielleicht.
Als ich unter dem Vordach des Bürogebäudes hervortrete – regnet es natürlich schon wieder. Um mich vor dem Wind und Nieselregen zu schützen, ziehe ich meine Kapuze hoch, die mir seitlich die Sicht versperrt. Beinahe hätte ich den Kerl nicht gesehen, der an der Nordecke des Parkplatzes steht.
Ich hätte ihn nicht gesehen, wenn ich ihn nicht – sogar in meiner panischen Vernebelung – erkannt hätte.
Seine Sonnenbrille erkannt hätte.
K apitel 16
D ie Angst packt mich, und ich vermeide es, ihn anzuschauen, als ich in Richtung Bibliothek losgehe.
Als ich ihn das nächste Mal sehe, schlendert er lässig einen guten Block hinter mir, aber es ist das zweite Mal, dass er mir folgt. Sein schwarzer Pullover – fast identisch mit meinem eigenen – fügt sich in den spärlichen Fußgängerverkehr ein, aber es ist nicht schwer, ihn auszumachen.
Trotzdem. Ich will nicht paranoid sein. Es besteht die winzige Möglichkeit, dass wir nur zufällig zum selben Ort gehen.
Zweimal.
Am selben Morgen.
Ich zögere, dann biege ich links ab statt rechts – das verlängert meinen Weg nur um ein paar Blocks, aber ich will ihn nicht direkt zur Bibliothek führen.
Meine Schritte werden langsamer, als ich mich der ersten Ecke meiner neuen Route nähere, und ich schaue mich verstohlen um. Noch sehe ich ihn nicht.
Langsamer.
Langsamer.
Als ich nach rechts abbiege, werfe ich unter gesenkten Wimpern einen Blick den Gehweg entlang. Kurz bevor ich außer Sicht verschwinde, kommt er um die Ecke, sein Blick irrt suchend umher. Abrupt wende ich das Gesicht ab und gehe wieder schneller.
Das Entsetzen beschleunigt meinen Schritt, kribbelt in meinen Zehen, und ich überlege kurz, ob es eine richtig schlechte Idee war, so langsam zu gehen, dass ich ihn ertappe, wenn ich eigentlich meinem Gefühl hätte folgen und fliehen sollen, solange ich die Möglichkeit hatte.
Das Problem ist: Ich traue meinem Gefühl nicht mehr. Es hat sich auch bei Reese und Elizabeth geirrt.
Und selbst wenn ich mich, was Benson angeht, nicht direkt geirrt habe, so habe ich ihn doch anscheinend falsch interpretiert.
Welcher Art meine Gefühle für Quinn sind, weiß ich nicht einmal.
Aber jetzt, wo ich mir sicher bin, dass dieser Typ mir folgt, will ich mich nur noch verstecken. Fliehen. Oder vielleicht … etwas tun . Es ist ein Instinkt, den ich nicht als meinen eigenen erkenne – oder vielleicht habe ich ihn nach Monaten der Hilflosigkeit in einem Krankenhausbett und weiteren Monaten mühevoller, schrittweiser Genesung auch nur
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