Der Kuss der Göttin (German Edition)
bisschen lauter, als er aufsteht.
Ich will protestieren, als mir klar wird, dass er vorgibt, mir ein Buch zu suchen. Perfekt. Ich drehe mich um und schaue ihm nach – das wäre natürlich, oder? –, und mein Blick findet den Mann augenblicklich; er sitzt an einem Ecktisch und gibt vor zu lesen.
Eilig wende ich den Blick ab, als könne er es spüren, wenn ich zu lange hinsehe.
Benson kann ihn nicht übersehen. Sicher.
Ich sitze am Schreibtisch, atme ein und aus und zwinge mich zur Ruhe. Ich bin hier bei Benson; er wird mir helfen.
Ich bin beinahe ruhig, als der Stressball, den ich schon fast vergessen hatte, plötzlich verschwindet. Ich schreie leise auf und ducke mich weg.
Zehn Sekunden später berührt Benson meine Schulter und ich fahre vor Schreck fast aus der Haut. »Entschuldige«, sagt er, aber seine Stimme klingt fragend, als er meine Reaktion sieht.
»Alles gut«, sage ich und versuche zu flüstern. »Glaub mir, es geht mir gut.«
Nachdem er mich kurz gemustert hat, setzt sich Benson wieder hin und legt ein großes Nachschlagewerk auf seinen Schreibtisch. »Ich habe ihn gesehen«, sagt er leise, während er die Seiten durchblättert und vorgibt, mir etwas zu zeigen. »Ich glaube, du solltest nach Hause gehen.«
»Nach Hause? Warum?«
»Es ist zu Fuß nahe genug und wahrscheinlich sicherer als hier.« Über den Rand seiner Brille wirft er einen Blick hinaus in die Bibliothek. »Reese ist weg, oder? Ich lenke den Kerl irgendwie ab, dann treffen wir uns bei dir zu Hause. Dort sind wir allein und reden über alles, was wir wissen. Vielleicht ergibt ja irgendwas einen Sinn.«
»Was, wenn er gefährlich ist? Er könnte dir etwas antun.«
Benson lacht ironisch. »Er ist in einem Regierungs gebäude – glaub mir, er will hier keinen Ärger machen. Abgesehen davon weiß er schon, wie er dich finden kann. Das ist nur eine Übergangslösung, um ein bisschen Zeit zu schinden.«
Ich nicke zögernd. »Okay. Aber du kommst nach, ja?«
Das Einzige, das noch eindringlicher ist als Bensons Flüstern, ist sein fester Blick aus blauen Augen. »Du kannst dich auf mich verlassen.«
K apitel 17
Z um ungefähr hundertsten Mal schaue ich durch den Vorhangspalt – Benson ist immer noch nicht da. Ich lasse mich aufs Sofa fallen und wickle die Überwurfdecke um mich, als könne sie mich irgendwie schützen. Meinen nassen Kapuzenpulli habe ich ausgezogen und mir mit einem Handtuch die Haare getrocknet, aber ich zittere immer noch heftig, und ich glaube nicht, dass das etwas mit der Temperatur zu tun hat. Ich schließe die Augen und wünsche mir, alles wäre so einfach wie damals, als ich ein kleines Mädchen war.
Und meine Eltern noch lebten.
Und ich eine vielversprechende junge Künstlerin war.
Und mich niemand verfolgte.
Und ich keine seltsamen Kräfte hatte, von denen ich nicht wusste, wie ich sie kontrollieren konnte, und merkwürdige Visionen, die nicht unbegründet sein können.
Hauptsächlich das.
Als es leise an der Tür klopft, reiße ich die Augen auf, verheddere mich in der Decke und knalle mit dem Knie gegen den Couchtisch. Benson schlüpft sofort herein, sobald der Türspalt groß genug ist, und drückt die Tür schnell wieder zu.
»Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich ihn abgehängt habe. Du hattest übrigens recht. Du bist gegangen und fünf Sekunden später war er schon aufgestanden und wollte dir folgen.«
Dann sieht er mein Gesicht, die zerknüllte Decke auf dem Boden und den immer noch wackelnden Tisch.
»Oh, Tave, alles wird wieder gut«, sagt er und zieht mich in seine Arme. Und obwohl ich weiß, dass er mein Zittern spüren muss, bin ich zu müde, um verlegen zu sein. Sein Gesicht ist an meinem Hals vergraben, und es ist die einzige Wärmequelle, die ich in meinem ganzen Körper ausfindig machen kann. »Es tut mir leid, was dir alles passiert«, flüstert er, und seine Lippen streichen dabei über meine empfindliche Haut. »Das ist mehr, als ein einzelner Mensch verdient hat. Vor allem du.«
Ich erlaube mir, einen Augenblick lang einfach nur dazustehen, mich an ihn zu lehnen, seine Kraft zu borgen, bis ich meine eigene wiederfinde. Nur eine Sekunde lang. Zwei. Drei. »Wie bist du ihn losgeworden?«, würge ich schließlich heraus.
»Um ehrlich zu sein, habe ich Kaffee über ihn verschüttet«, sagt Benson. »Marie war einverstanden, mir zu helfen. Hat einen Riesenwirbel um ihn gemacht, während ich abgehauen bin.« Er blickt auf und begegnet meinem Blick. »Ich weiß nicht, wie viel
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