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Der Kuss der Russalka

Der Kuss der Russalka

Titel: Der Kuss der Russalka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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näher heranging, sah er, wie sich etwas hinter den Zweigen bewegte. Beinahe hätte Johannes nach Jewgenij gerufen, doch eine vertraute Stimme ließ ihn verdutzt innehalten.
    »Webwerk ist Tagwerk«, sagte Mitja leise.
    Eine Frau lachte leise auf. »Tagwerk ist Nachtgarn und der Mond rollt durch Adern voll Glut.« Ihre Stimme klang angenehm und melodiös, dabei aber tonlos wie das Rauschen der Newa an einem windigen Tag.
    »Ja!«, beteuerte der Narr. »Aber weil Senja kein Stroh frisst, gibt sie den Faden an Kalamow. Kalamow aber verschluckt das Kreuz.«
    »Unsinn«, erwiderte die Fremde. »Kalamow hat nie ein Kreuz getragen.«
    »Aber eine Kette aus Schädeln …«
    »… und Fingerknochen um seinen Hals«, ergänzte sie. »Heimlich nagt er sie ab, wenn der Kater nicht hinschaut!« Mitja kicherte, als hätte er einen gelungenen Scherz gehört.
    Johannes hielt die Luft an. Hier unterhielten sich zwei Verrückte. Vorsichtig schlich er näher heran. Immer noch sah er nichts, deshalb lehnte er sich gegen einen dickeren Ast und beugte sich so weit vor, bis er beinahe das Gleichgewicht verlor. Der Anblick der Szene raubte ihm fast den Atem. Die marmorschöne Gestalt der Russalka trieb zwischen den Weidenzweigen. Ihre rechte Schulter ragte aus dem Fluss. Unter Wasser leuchteten ihre Brüste wie zwei Monde. Ein Abglanz ihrer Schönheit verklärte das Gesicht des Narren, der am Ufer kniete. In diesem Moment hätte er ein junger Soldat sein können, der seine Geliebte traf. Angst fuhr in Johannes’ Magen – was, wenn Mitja die Russalka an Derejew oder jemand anderen verriet?
    »Gott lebt im Wasser«, sagte Mitja mit tiefem Ernst. »Die Kater heulen in der Nacht, das Wasser wartet, aber es wartet nicht lange genug. Eine Heuschrecke frisst meine Hand und sie wächst wieder nach!«
    Er streckte seine Hand aus und die Russalka ergriff sie ohne zu zögern. Staunen ließ das Gesicht des Narren beinahe schön aussehen. Niemand verstand, was er gesagt hatte, aber die Nixe sah ihn an, als hätte er sie etwas gefragt, über das sie nun konzentriert nachdachte. »Nein«, sagte sie schließlich sanft, aber sehr bestimmt. »Nein, Mitja!«
    In diesem Moment brach der Buschast. Dornen kratzten über Johannes’ Arme, das Geräusch von reißendem Stoff zerstörte die Stille. Er war völlig perplex, als ihn ein Schwall Wasser traf und von Kopf bis Fuß durchnässte. Ertappt sprang er auf und strich sich die Haare aus der Stirn. Mitjas Soldatenrock bauschte sich auf der Wasseroberfläche und verschwand. Im Schock stand Johannes da. Seine Gedanken überschlugen sich – die Russalka hatte den Narren in die Tiefe gezogen! Im nächsten Moment sah er sich einem tropfenden Mitja gegenüber, der ans Ufer geworfen war wie ein Stück Treibholz. Der Narr hustete und spuckte mindestens einen Krug voll Brackwasser aus.
    »Du hast mich erschreckt«, sagte die Stimme der Russalka. Ärgerlich tauchte sie unter und kam unmittelbar vor Johannes wieder aus dem Wasser. Zum ersten Mal konnte er ihre farblosen Lippen betrachten und die verwirrenden Augen, pupillenlos und so schwarz wie Kohlestücke. Der Kontrast zwischen ihrer Haut und dem schwarzen Haar war stechend. Unter Wasser glänzten Schuppen.
    »Habe ich dich dabei gestört, den Gottesnarren zu ertränken?«, brachte Johannes hervor. Beim Klang von Johannes’ Stimme rappelte sich Mitja auf. Sein Gesicht verzerrte sich zu der wütenden Fratze, die Johannes nur allzu gut kannte.
    »Nicht«, sagte die Nixe. Johannes wurde Zeuge, wie dieses einfache Wort einen Wahnsinnigen, der ihm ohne zu zögern an die Kehle gegangen wäre, im Zeitraum eines Fingerschnippens in einen sanftmütigen Menschen verwandelte. Ein letztes Mal musterte der Narr Johannes, dann rang er die Hände, wandte sich um und ging fluchend auf den Wald zu. Die Russalka sah ihm mit sanften Augen nach.
    »Was wird er tun?«, flüsterte Johannes.
    »Nachdenken«, erwiderte sie. »Er denkt viel über diese Stadt nach – über den Zaren, den Fluss und die Zeit, auch über dich.«
    Der Schreck, der sich für eine Weile mit sich selbst beschäftigt hatte, wurde aufmerksam und trabte wieder herbei. »Er wird dich verraten«, rief Johannes. »Er ist ein Narr! Wie kannst du mit ihm sprechen?«
    Mit einer energischen Bewegung stieß sie sich vom Ufer ab und ließ sich ein Stück in das dunkelgrüne Wasser treiben. Weiße Knie erschienen an der Wasseroberfläche wie neugierige Fischmäuler. Für einen Moment war Johannes irritiert keinen

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