Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kuß der Schlange

Der Kuß der Schlange

Titel: Der Kuß der Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
Vom Netzwerk:
vielleicht, was für Freundinnen Ihre Kusine hatte?«
    »Überhaupt keine. Nach ihrer Darstellung jedenfalls hatte sie keinerlei Freunde. Alle Leute außer Robert, die sie kennengelernt hätte, seien gemein zu ihr gewesen, sagte sie, also bedeuteten neue Freunde nur neue Enttäuschungen.« Somerset trank sein Glas aus. »Noch einen Schluck Wein?«
    »Nein, vielen Dank. Wir haben Ihnen schon genug von Ihrer Samstagabendration weggetrunken.«
    Somerset reagierte mit seinem angenehmen, freien Lächeln. »Ich bringe Sie zur Tür.«
    Als sie in die Diele traten, ertönte von oben eine weinerliche Stimme: »Marky, Marky, wo bist du?«
    Somerset zuckte zusammen, vielleicht nur wegen des scheußlichen Diminutivs. Aber Blut ist dicker als Wasser, und Mann und Frau sind eins. Er trat an den Fuß der Treppe und rief hinauf, er käme gleich, dann öffnete er die Haustür. Wexford und Burden wünschten schnell guten Abend, denn die Stimme von oben war in ein dünnes, ungeduldiges Jammern ausgebrochen.
    Am nächsten Morgen fuhr Wexford, wie versprochen, erneut zum Bury Cottage. Er hatte zwar Neuigkeiten für Robert Hathall, von denen er einige selbst gerade erst erfahren hatte, aber er war nicht gewillt, dem Witwer das zu erzählen, was dieser am dringendsten wissen wollte.
    Mrs. Hathall ließ ihn ein und sagte, ihr Sohn schlafe noch. Sie führte ihn ins Wohnzimmer und bat ihn, dort zu warten, aber sie bot ihm weder Tee noch Kaffee an. Sie war wohl eine der Frauen, die nie oder nur höchst selten jemandem eine Erfrischung anboten, wenn er nicht zur eigenen Familie gehörte. Sie waren schon eine merkwürdige, verschlossene Sippe, diese Hathalls, deren Distanziertheit anscheinend auch die Leute ansteckte, die sie heirateten, denn als er Mrs. Hathall fragte, ob Angelas Vorgängerin je hier im Haus gewesen sei, antwortete sie: »Dazu hätte sich Eileen nie herabgelassen. Sie bleibt lieber für sich.«
    »Und Rosemary, Ihre Enkeltochter?«
    »Rosemary war einmal hier; und das eine Mal war genug. Die hat sowieso viel zuviel für ihre Schule zu tun, um sich groß herumtreiben zu können.«
    »Würden Sie mir bitte die Adresse von Mrs. Eileen Hathall geben?«
    Mrs. Hathalls Gesicht wurde so rot wie das ihres Sohnes, so rot wie die faltige Haut eines Truthahnhalses. »Nein, das werde ich nicht! Sie haben mit Eileen nichts zu schaffen. Finden Sie sie gefälligst selbst raus!« Sie knallte die Tür hinter sich zu, und er war allein.
    Es war das erste Mal, daß er hier drinnen allein war, also nutzte er die Wartezeit, sich ein wenig umzusehen. Das Mobiliar, das er für Angelas gehalten und wofür er ihr insgeheim Geschmack bescheinigt hatte, gehörte also in Wirklichkeit Somerset, war vielleicht das Resultat lebenslanger Sammlertätigkeit seines Vaters. Es waren die schönsten spätviktorianischen Stücke, einige davon noch älter, Stühle mit gedrechselten Beinen, ein eleganter, kleiner, ovaler Tisch. Am Fenster eine Öllampe aus rotem und weißem venezianischen Glas, die nie auf Elektrizität umgerüstet worden war. Ein Bücherschrank mit Glastüren enthielt größtenteils die Art Werke, die ein alter Mann wohl sammelte und liebte: Eine Gesamtausgabe von Kipling, in rotes Leder gebunden, einiges von H.G. Wells, Gosses ›Vater und Sohn‹, ein bißchen Ruskin und eine Menge Trollope. Aber ganz oben, wo sich früher vielleicht ein Ornament befunden hatte, standen Hathalls eigene Bücher. Ein halbes Dutzend Thriller in Taschenbuchausgabe, zwei oder drei Werke über ›populäre‹ Archäologie, ein paar Romane, die bei ihrem Erscheinen wegen ihres sexuellen Inhalts heftige Kontroversen ausgelöst hatten, und außerdem noch zwei schön gebundene, imposante Bände.
    Wexford nahm den einen davon herunter. Es war ein farbiger Bildband über altägyptischen Schmuck. Er enthielt außer den Bildunterschriften kaum Text und trug im Innendeckel ein Etikett, das ihn als Eigentum der Bibliothek der National Archaeologists’ League auswies. Gestohlen also, und zwar von Angela. Aber Bücher gehören wie Schirme, Kugelschreiber und Streichholzschachteln zu einer Kategorie von Objekten, deren Diebstahl als läßliche Sünde gilt, und Wexford dachte nicht weiter darüber nach. Er stellte es zurück und griff sich das letzte in der Reihe. Sein Titel lautete ›Von Menschen und Engeln – Eine Studie altenglischer Sprachen‹, und als er es aufschlug, merkte er, daß es ein sehr wissenschaftliches Werk war mit Kapiteln über die Ursprünge des Walisischen,

Weitere Kostenlose Bücher