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Der Kuß der Schlange

Der Kuß der Schlange

Titel: Der Kuß der Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
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Junge oder ein Mädchen war? Sie sagen doch selbst immer, der Adamsapfel ist noch das einzige sichere Erkennungszeichen. Und bemerkt ein Radfahrer, der flüchtig in ein Auto schaut, ob der Mitfahrer einen Adamsapfel hat oder nicht? Wir haben sämtliche Mädchen auf der Liste überprüft, bis auf die, die jetzt in den Vereinigten Staaten ist, und die, die am neunzehnten im Krankenhaus lag. Die meisten von ihnen konnten sich kaum erinnern, wer Hathall war.«
    »Und was ist Ihre Vorstellung? Wie erklären Sie sich diesen Abdruck an der Badewanne?«
    »Das kann ich Ihnen sagen. Es war ein Kerl, der Angela umgebracht hat. Sie war einsam und hat ihn sich aufgegabelt, wie Sie ja selbst anfangs gesagt haben. Er hat sie stranguliert – womöglich aus Versehen –, während er versuchte, ihr die Halskette abzunehmen. Warum sollte er Abdrücke hinterlassen haben? Warum soll er irgend etwas im Haus angefaßt haben – außer Angela? Und wenn doch, dann waren es bestimmt nicht viele Spuren, und die kann er abgewischt haben. Die Frau, die diesen Handabdruck hinterlassen hat, die ist überhaupt nicht beteiligt. Die kann zufällig vorbeigekommen sein, eine Autofahrerin etwa, die reinkam und bat, das Telefon benutzen zu dürfen …«
    »Und das Klo?«
    »Warum nicht? Solche Sachen passieren. So was Ähnliches ist erst gestern bei uns zu Hause passiert. Meine Tochter war ganz allein zu Hause, und ein junger Mann, der von Stowerton aus zu Fuß gelaufen war, weil’s mit dem Autostop nicht geklappt hatte, klingelte und bat um einen Schluck Wasser. Sie ließ ihn rein – wozu ich einiges zu sagen hatte, wie Sie sich vorstellen können –, und sie ließ ihn auch das Bad benutzen. Glücklicherweise war der in Ordnung, und es ist nichts passiert. Aber weshalb sollte nicht so was Ähnliches auch in Bury Cottage abgelaufen sein? Die Frau hat sich nicht gemeldet, weil sie nicht mal den Namen des Hauses weiß, wo sie klingelte, oder den Namen der Frau, die sie einließ. Ihre Abdrücke sind nicht am Telefon, weil Angela noch beim Saubermachen war, als sie reinkam. Ist das nicht plausibler als die Konspirationstheorie, für die es rein gar keine Grundlage gibt?«
    Griswold war von dieser Version sehr angetan, und Wexford sah sich gezwungen, eine Ermittlungskampagne zu leiten, welche auf Mutmaßungen basierte, an die er nicht einen Augenblick glauben konnte. Er war gezwungen, eine landesweite, steckbriefliche Fahndung zu befürworten, die zum Ziel hatte, eine von Amnesie befallene Autofahrerin ausfindig zu machen sowie einen Dieb, der wegen einer wertlosen Halskette versehentlich gemordet hatte. Keiner von beiden wurde gefunden, keiner von beiden nahm deutlichere Gestalt an als die vagen Umrisse, die Burden für sie erfunden hatte, aber Griswold und Burden und auch die Zeitungen sprachen von ihnen, als ob sie existierten. Und Robert Hathall, so hörte Wexford hintenherum, hatte diverse hilfreiche Hinweise gegeben, die nacheinander zu immer neuen Spuren führten. Der Chief Constable könne gar nicht begreifen, so hieß es, was zu der Auffassung geführt hatte, dieser Mann litte an Verfolgungswahn oder sei jähzornig. Sein Verhalten konnte doch gar nicht kooperativer sein, seit Wexford in keinem direkten Kontakt mehr mit ihm stand.
    Wexford nahm an, daß er bald die ganze Sache gründlich satt haben würde. Die Wochen schleppten sich dahin, und es gab keine neuen Entwicklungen. Zuerst ist es natürlich zum Verrücktwerden, wenn das eigene unerschütterliche Wissen geringgeachtet und bespöttelt wird. Dann aber, wenn neue Interessen und neue Aufgaben auf einen zukommen, wird es allmählich bloß noch lästig, und am Ende ist es nichts als langweilig. Wexford wäre heilfroh gewesen, hätte er Hathall bloß noch als langweilig betrachten können. Schließlich löst kein Mensch jeden einzelnen Mordfall. Zu Dutzenden bleiben sie unaufgeklärt und werden es auch in Zukunft bleiben. Natürlich mußten Recht und Gerechtigkeit hochgehalten werden, aber manchmal machte das menschliche Element das unmöglich. Einige kamen eben ungeschoren davon, und anscheinend gehörte Hathall zu denen. Eigentlich hätte er ihn also jetzt unter der Rubrik ›langweilig‹ ablegen müssen, denn er war ja kein interessanter Mensch, sondern im wesentlichen ein enervierend humorloser Langweiler. Und doch konnte ihn Wexford nicht so sehen. Als Person mochte er langweilig sein, aber was er getan hatte, war es nicht. Wexford wollte wissen, warum er es getan hatte, mit wessen Hilfe

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