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Der Kuß der Schlange

Der Kuß der Schlange

Titel: Der Kuß der Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
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seinen Wagen nahe der Kreuzung Curzon Street und Half Moon Street geparkt. Da sie noch ein paar Minuten Zeit hatten, wollte er sich aus Neugier das Äußere der Werbeagentur ansehen, mit der er am Tag telefoniert hatte, und so gingen er und Denise zu dem Marcus-Flower-Gebäude hinüber. Da sah er einen Mann und eine Frau von der entgegengesetzten Seite her daraufzusteuern. Der Mann war Robert Hathall.
    An dem riesigen Fenster blieben sie stehen und blickten hinein, betrachteten Samtvorhänge und Wilton-Spannteppich und Marmortreppen. Anscheinend wies Hathall seine Gefährtin auf die pompöse Großartigkeit des Hauses hin, in dem er arbeitete. Die Frau war mittelgroß, gutaussehend zwar, aber doch nicht auffallend schön, mit sehr kurzem, blondem Haar. Howard schätzte, daß sie Ende Zwanzig oder Anfang Dreißig war.
    »Könnte das Haar eine Perücke gewesen sein?« wollte Wexford wissen.
    »Nein, aber es kann gefärbt gewesen sein. Natürlich hab ich ihre Hand nicht gesehen. Die beiden redeten sehr liebevoll und vertraut miteinander, so schien es mir jedenfalls, und nach einer Weile gingen sie weiter, runter in Richtung Piccadilly. Übrigens, ich hatte gar keinen Spaß an dem Film. Ich konnte mich nämlich nicht mehr konzentrieren.«
    »Es kann also nicht stimmen, Howard, mit dem: ›So laß uns scheiden denn für immer, gelöst sei alles, was wir uns gelobt‹; sondern es ist genauso, wie ich gedacht habe, und jetzt ist es nur noch eine Frage der Zeit, daß wir sie finden.«
    Den nächsten Tag hatte er dienstfrei, es war sein normaler freier Tag in der Woche. Mit dem Zug zehn Uhr dreißig erreichte er Victoria Station kurz vor halb zwölf, und gegen zwölf war er in Kilburn. Durch welche Laune romantischer Phantasie dieser verwahrloste viktorianische Pub ausgerechnet den Namen der Lieblingsmätresse Charles des Zweiten bekommen hatte, konnte Wexford sich beim besten Willen nicht erklären. Der Pub stand an einer Querstraße der Edgware Road und machte den Eindruck eines völlig heruntergekommenen Vergnügungslokals aus dem neunzehnten Jahrhundert. Ginge Matthews saß auf einem Hocker an der Bar und war in ein ernstes und anscheinend trübsinniges Gespräch mit dem irischen Barkeeper vertieft. Als er Wexford sah, weiteten sich seine Augen – oder vielmehr, ein Auge weitete sich. Das andere war halb geschlossen und in einer blauroten Schwellung versunken.
    »Nehmen Sie Ihren Drink mit da rüber in die Ecke«, sagte Wexford. »Ich komme gleich nach. Kann ich bitte ein Glas trockenen Weißwein haben?«
    Ginge sah nicht aus wie sein Bruder, redete auch nicht wie der, und ganz gewiß rauchte er nicht so wie er, aber dennoch hatten die beiden etwas gemeinsam – abgesehen von ihrer Neigung zur Kleinkriminalität. Vielleicht war ein Elternteil eine dynamische Persönlichkeit gewesen, oder es konnte sonst etwas ungewöhnlich Vitales in ihren Genen gesteckt haben. Was es auch war, es nötigte Wexford zu dem Urteil, die Matthew-Brüder seien genauso wie andere Leute, bloß noch ein bißchen mehr. Beide trieben leicht Dinge bis zum Exzeß. Monkey rauchte sechzig lange Zigaretten pro Tag. Ginge rauchte überhaupt nicht, aber er trank, wenn er es sich leisten konnte, eine Mixtur aus Pernod und Guiness.
    Ginge hatte mit Monkey seit fünfzehn Jahren nicht mehr gesprochen, und Monkey nicht mit ihm. Sie hatten sich nach dem Desaster zerstritten, zu dem ihr stümperhafter Einbruch in ein Kingsmarkhamer Pelzgeschäft geführt hatte. Ginge war ins Kittchen gewandert und Monkey nicht – eine große Ungerechtigkeit, wie Ginge verständlicherweise fand –, und als er wieder rauskam, setzte er sich nach London ab, wo er eine Witwe heiratete, die ein eigenes Haus und ein bißchen Geld besaß. Ginge hatte das Geld bald durchgebracht, und sie beschenkte ihn – vielleicht aus Rache – mit fünf Kindern. Daher fragte er auch jetzt nicht nach seinem Bruder, dem er die Hauptschuld an seinem Unglück gab, sondern sagte nur grimmig zu Wexford, als der sich zu ihm an den Ecktisch setzte:
    »Sehen Sie mein Auge?«
    »Natürlich sehe ich es. Was, zum Teufel, haben Sie denn angestellt? Kleine Meinungsverschiedenheit mit Ihrer Frau?«
    »Sehr komisch. Ich kann Ihnen sagen, wer das gemacht hat. Dieser Scheiß-Hathall. Gestern abend, als ich ihm nachgegangen bin zur Bushaltestelle vom Achtundzwanziger.«
    »Um Himmels willen!« sagte Wexford entsetzt. »Weiß der jetzt über Sie Bescheid?«
    »Besten Dank für Ihr Mitgefühl!« Ginges kleines, rundes

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