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Der Kuß der Schlange

Der Kuß der Schlange

Titel: Der Kuß der Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
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Mrs. Hathall nickte mit einer gewissen Genugtuung. »Ich glaub nicht, daß wir den je wieder zu Gesicht kriegen.« Sie trank ihren Tee aus, stand auf und begann, den Tisch abzuräumen. Unmittelbar nachdem man mit dem Essen fertig war, mußte der Tisch abgeräumt werden, das war ehernes Gesetz. Wexford sah, wie sie den Deckel der Teekanne hob und ihren Inhalt mit irritierter Miene betrachtete, als ärgere sie sich über die schändliche Verschwendung, einen Viertelliter Tee wegzukippen. Also bedeutete sie Eileen mit pantomimischen Gesten, daß noch etwas drin wäre, falls sie noch wollte …? Eileen schüttelte den Kopf, und Mrs. Hathall trug die Kanne fort. Daß Wexford den Tee hätte trinken können, daß man ihm wenigstens die Chance hätte geben können, abzulehnen, dieser Gedanke schien ihr gar nicht zu kommen. Eileen wartete, bis ihre Schwiegermutter das Zimmer verlassen hatte.
    »Ja, den bin ich endlich los«, sagte sie. »Und er hat auch keinen Grund, hier je wieder aufzutauchen. Ich bin fünf Jahre ohne ihn zurechtgekommen, da komme ich auch für den Rest meines Lebens ohne ihn aus. Nein, was mich betrifft, so ist das wahrhaftig kein Verlust.«
    Es war, wie er vermutet hatte. Bald würde sie sich einreden, sie hätte ihn fortgeschickt, und sie hätte ihn auch, nun, da Angela weg war, nach Brasilien begleiten können, wenn sie gewollt hätte. »Mami und ich«, fuhr sie fort und ließ ihren Blick durch das kahle Zimmer gleiten, in dem es keinen einzigen Stechpalmenzweig, keine einzige Papiergirlande gab, »Mami und ich, wir werden ein ruhiges Weihnachten verleben, ganz für uns. Rosemary fährt morgen zu ihrer französischen Brieffreundin, und sie kommt erst zurück, wenn die Schule wieder anfängt. Wir sind also ganz gemütlich für uns.«
    Er fröstelte förmlich. Die Zuneigung zwischen diesen beiden Frauen war geradezu erschreckend. Hatte Eileen Hathall geheiratet, weil er ihr die Mutter bringen konnte, die sie wollte? Hatte Mrs. Hathall Eileen für ihn ausgesucht, weil sie die Tochter war, die sie brauchte?
    »Mami denkt daran, ganz zu mir zu ziehen«, sagte sie, als die alte Frau wieder angetrottet kam. »Das heißt, wenn Rosemary aufs College geht. Ist doch dumm, zwei Wohnungen zu unterhalten.«
    Eine wärmere, liebevollere Frau hätte darauf vielleicht reagiert, indem sie dankbar gelächelt oder sich bei dieser idealen Schwiegertochter eingehakt hätte. Mrs. Hathalls kleine, kalte Augen jedoch schweiften lediglich durch das schmucklose Zimmer, verweilten kurz auf Eileens aufgedunsenem Gesicht und dem gekräuselten Haar, während ihr Mund, verkniffen und abwärts gezogen, so etwas wie Enttäuschung ausdrückte, wohl darüber, daß sie nichts auszusetzen fand. »So, nun komm, Eileen«, sagte sie, »wir müssen das Geschirr abwaschen.«
    Sie ließen Wexford allein hinausgehen. Als er unter dem Vordach heraustrat, das ihn so an einen Provinzbahnhof erinnerte, bog gerade der Wagen, der einmal Hathall gehört hatte, in die Einfahrt ein. Am Steuer saß Rosemary. Ihr Gesicht, eine intelligentere Version des Gesichtes ihrer Großmutter, signalisierte zwar ein Wiedererkennen, sonst aber keinerlei höfliche Regung, wie etwa ein Begrüßungslächeln.
    »Wie ich höre, fahren Sie über Weihnachten nach Frankreich?«
    Sie stellte den Motor ab, aber sonst rührte sie sich nicht.
    »Sie haben mal gesagt, Sie seien noch nie aus England herausgekommen.«
    »Das stimmt.«
    »Nicht mal auf einer Tagestour nach Frankreich mit Ihrer Schule, Miss Hathall?«
    »Ach, das«, sagte sie mit eisiger Ruhe. »Das war an dem Tag, als es Angela an den Kragen ging, was?« Sie vollführte eine rasche, makabre Geste, indem sie sich mit einem Finger quer über den Hals fuhr. »Stimmt, da hatte ich meiner Mutter erzählt, ich führe mit der Schule rüber. Stimmte aber gar nicht. Ich war mit einem Jungen aus. Zufrieden?«
    »Nicht ganz. Sie können Auto fahren, Sie können schon seit achtzehn Monaten Auto fahren. Und Sie verabscheuten Angela, aber Ihren Vater scheinen Sie gern zu haben …«
    Sie unterbrach ihn heftig. »Ihn gernhaben? Ich kann die allesamt nicht ausstehen. Meine Mutter ist ‘ne dumme Pute und die Alte ‘ne blöde Kuh. Sie wissen ja nicht – kein Mensch weiß das –, was ich durchgemacht hab mit denen, wie sie mich zwischen sich hin und her gezerrt haben.« Ihre Worte loderten förmlich, doch ihre Stimme blieb monoton. »Ich hau noch dies Jahr ab, und keiner von denen wird mich je wieder zu Gesicht kriegen. Sollen die

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