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Der Kuß der Schlange

Der Kuß der Schlange

Titel: Der Kuß der Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
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U-Bahn-Station Notting Hill Gate. Doch ich wußte, wenn er einstieg, dann mußte es bald sein, und tatsächlich, höre und staune, stand er plötzlich ganz allein an der Bedarfshaltestelle auf der Pembridge Road. Er ging nach oben. Ich blieb im Bus sitzen und sah ihn bei West End Green aussteigen. Und dann«, schloß Howard triumphierend, »fuhr ich weiter bis Golders Green und nahm ein Taxi nach Hause.«
    »Howard, du bist mein einziger Verbündeter.«
    »Na schön, und du weißt ja, was Chesterton darüber sagt. Ich bin also heute abend ab halb sechs an dieser Haltestelle, und dann werden wir ja sehen.«
    Wexford zog seinen Morgenmantel über und ging hinunter, um nachzuschlagen, was Chesterton gesagt hatte. »Allein zu sein, oder aber einen Verbündeten zu haben – es gibt keine Worte, den Abgrund zwischen beidem zu beschreiben. Sei es den Mathematikern zugestanden, daß vier zwei mal zwei ist. Aber zwei ist nicht zwei mal eins, zwei ist zweitausend mal eins …« Er fühlte sich sehr ermutigt. Gewiß, er hatte keine Truppe von Leuten zur Verfügung, aber er hatte Howard, den resoluten, den unendlich verläßlichen, den unschlagbaren Howard, und gemeinsam waren sie zweitausend. Zweitausendundeins mit Lovat. Er mußte jetzt baden, sich anziehen und sofort nach Myringham hinüberfahren.
    Der Chef der Kriminalpolizei von Myringham war anwesend, und bei ihm war Sergeant Hutton.
    »Gar kein schlechter Tag«, meinte Lovat und blinzelte durch seine komische kleine Brille in den gleichmäßig mattweißen, verhangenen Himmel.
    Wexford hielt es für klüger, Richard Grey gar nicht zu erwähnen. »Haben Sie schon was unternommen in dieser Lohnlistensache?«
    Lovat nickte sehr langsam und bedeutungsvoll, überließ aber Sergeant Hutton das Wort. »Wir haben ein oder zwei Konten entdeckt, die verdächtig sind, Sir. Genauer gesagt, drei. Eins war bei der Sparkassenfiliale in Toxborough, eins in Passingham St. John und eins hier. Auf allen dreien waren regelmäßige Einzahlungen durch Kidd und Co. erfolgt, und in allen drei Fällen hörten die Ein- und Auszahlungen im März oder April letzten Jahres auf. Das Konto in Myringham lief auf den Namen einer Frau, deren Adresse sich als eine Art Hotelpension herausstellte. Die Leute dort konnten sich nicht an sie erinnern, und es ist uns nicht gelungen, ihr weiter nachzuspüren. Das Konto in Passingham erwies sich als korrekt, da war nichts faul. Die Frau hat bei Kidds gearbeitet, hörte im März auf und hat sich bloß nicht die Mühe gemacht, die letzten dreißig Pence ihres Kontos abzuheben.«
    »Und das Konto in Toxborough?«
    »Da ist die Schwierigkeit, Sir. Das läuft auf den Namen einer Mrs. Mary Lewis, wohnhaft in Toxborough, aber das Haus ist völlig dicht und die Leute offenbar verreist. Die Nachbarn sagen, die Leute hießen Kingsbury und nicht Lewis, aber sie hätten im Laufe der Jahre etliche Untermieter gehabt, und einer von denen hieße ja vielleicht Lewis. Wir müssen also bloß abwarten, bis die Kingsburys zurückkommen.«
    »Und wissen die Nachbarn, wann?«
    »Nein«, sagte Lovat.
    Verreist irgend jemand eine Woche vor Weihnachten und bleibt nicht bis nach Weihnachten weg? Wexford fand das sehr unwahrscheinlich. Leer und endlos lag sein freier Tag vor ihm. Vor einem Jahr hatte er beschlossen, geduldig zu sein, aber jetzt war die Zeit gekommen, da er nicht mehr die Tage, sondern die Stunden bis zu Hathalls Abreise zählte. Vier Tage. Sechsundneunzig Stunden. Und dies war bestimmt das einzige Beispiel dafür, fiel ihm ein, daß eine große Zahl so jammervoll viel kleiner wirken konnte als eine kleine: sechsundneunzig Stunden; fünftausendsiebenhundertundsechzig Minuten … Ein Nichts. Ein Wimpernschlag, und sie waren vergangen …
    Und das Frustrierende dabei war, daß er diese Stunden nur irgendwie verplempern konnte, diese Tausende von Minuten, denn es gab nichts mehr, was er persönlich tun konnte. Er konnte nur nach Hause gehen und Dora helfen, noch mehr Papierketten aufzuhängen, noch mehr spröde Mistelzweigsträuße zu arrangieren, den Weihnachtsbaum in den Kübel zu pflanzen und mit ihr zu überlegen, ob die Pute klein genug war, auf einem Backofenblech zu liegen, oder eher groß genug, um mit Bindfaden hängend oben im Backofen befestigt zu werden. Und am Freitag, als es nur noch zweiundsiebzig Stunden waren (viertausenddreihundertundzwanzig Minuten), ging er mit Burden zum Weihnachtsessen in die Kantine des Polizeipräsidiums. Er setzte sich sogar einen

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