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Der Kuß der Schlange

Der Kuß der Schlange

Titel: Der Kuß der Schlange Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
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Papierhut auf und ließ mit der Polizistin Polly Davis einen Knallbonbon platzen.
    Vor ihm lag die Tee-Einladung bei Nancy Lake. Er war nahe daran, anzurufen und abzusagen, aber er tat es nicht. Er sagte sich, es gäbe doch noch ein, zwei Fragen, die sie ihm beantworten könne, und schließlich sei das auch nur eine Möglichkeit wie jede andere, jene viertausendsoundsoviel Minuten herumzukriegen. Gegen vier Uhr war er in der Wool Lane, dachte gar nicht weiter an sie, sondern lediglich daran, wie er hier vor acht Monaten mit Howard entlanggegangen war, voller Hoffnung, Energie und Entschlossenheit.
    »Wir sind schon seit neunzehn Jahren ein Liebespaar«, sagte sie. »Ich war damals seit fünf Jahren verheiratet und gerade mit meinem Mann hierhergezogen, und eines Tages, als ich den Weg entlangging, begegnete ich Mark. Er war im Garten seines Vaters damit beschäftigt, die Pflaumen zu pflücken. Wir kannten natürlich den richtigen Namen, aber wir nannten ihn ›Mirakelbaum‹, denn für uns beide war es ein Mirakel.«
    »Die Marmelade«, sagte Wexford, »ist sehr gut.«
    »Dann nehmen Sie doch noch etwas.« Sie lächelte ihn über den Tisch hinweg an. Das Zimmer, in dem sie saßen, war ebenso schmucklos wie Eileen Hathalls Wohnzimmer, nirgends gab es Weihnachtsdekorationen. Und doch wirkte es nicht leer oder steril oder kalt. Überall sah man noch, wo ein Bild abgenommen worden war, ein Spiegel, irgendein Ornament, und er konnte sich die Schönheit und den Charakter des Mobiliars gut vorstellen, das in Kisten verpackt darauf wartete, in ihr neues Heim transportiert zu werden. Die dunkelblauen Samtvorhänge hingen noch vor den Fenstertüren, sie hatte sie zugezogen, um die winterlich frühe Dämmerung auszuschließen. Sie waren wie ein dunkler Nachthimmel, gegen den sie sich strahlend abhob, das Gesicht ein wenig errötet, der alte Diamant an ihrem Finger und der neue Diamant daneben, die im Licht der Lampe an ihrer Seite in allen Regenbogenfarben sprühten. »Wissen Sie, wie das ist«, fragte sie plötzlich, »verliebt zu sein und nirgends hingehen zu können, um sich zu lieben?«
    »Ich kann’s Ihnen nachfühlen.«
    »Wir schafften es irgendwie. Aber mein Mann kam dahinter, und Mark konnte nicht mehr in die Wool Lane kommen. Wir versuchten immer wieder Schluß zu machen, und manchmal sahen wir uns monatelang nicht, aber es nützte alles nichts.«
    »Warum haben Sie nicht geheiratet? Sie hatten doch beide keine Kinder.«
    Sie nahm seine leere Tasse und goß nach. Als sie sie ihm zurückreichte, streiften ihre Finger die seinen, und er spürte, wie ihm heiß wurde – eigentlich fast vor Wut. Als ob es nicht schon schlimm genug war, fand er, wie sie da saß, wie sie aussah, auch ohne dieses Gerede über Sex. »Mein Mann starb«, fuhr sie fort. »Wir wollten heiraten. Aber da wurde Marks Frau krank, und er konnte sie nicht verlassen. Das war einfach unmöglich.«
    Er vermochte den hämischen Unterton in seiner Stimme nicht zu unterdrücken. »So hielten Sie denn einander die Treue und lebten in der Hoffnung?«
    »Nein, es gab andere – jedenfalls für mich.« Sie blickte ihn unverwandt an, und er brachte es nicht fertig, diesen Blick zu erwidern. »Mark wußte es, und wenn es ihm was ausmachte, so hat er mir doch nie Vorwürfe gemacht. Wie hätte er auch? Ich habe Ihnen ja mal erzählt, ich käme mir vor wie eine Ablenkung, wie etwas, das ihn unterhielt, wenn er am Bett seiner Frau entbehrlich war.«
    »Dann meinten Sie also seine Frau, als Sie mich fragten, ob es schlimm sei, wenn man einem Menschen den Tod wünsche?«
    »Natürlich. Wen sonst? Dachten Sie – dachten Sie etwa, ich spräche von Angela?« Der Ernst wich aus ihrem Gesicht, und sie lächelte wieder. »Ach du meine Güte …! Soll ich Ihnen noch was erzählen? Vor zwei Jahren, als ich mich sehr elend und einsam fühlte, weil Gwen Somerset aus dem Krankenhaus nach Hause entlassen worden war und Mark nicht aus den Augen ließ, da – da machte ich Robert Hathall Avancen. Da haben Sie ein Geständnis! Aber der wollte mich nicht. Er ließ mich glatt abblitzen! Ich bin nicht daran gewöhnt«, sagte sie mit gespieltem Pathos, »daß man mich abblitzen läßt.«
    »Kann ich mir vorstellen. Glauben Sie, ich bin blind?« fragte er fast grimmig. »Oder ein kompletter Idiot?«
    »Nein, nur … so unnahbar. Wenn Sie fertig sind, wollen wir dann nicht lieber in das andere Zimmer gehen? Es ist gemütlicher. Dort habe ich noch nicht meine sämtlichen persönlichen

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