Der Kuss der wilden Rose: Mittsommerhochzeit (German Edition)
sehr danach, ihm ganz nah zu sein, dass es beinahe schmerzte.
Bist du wirklich so verzweifelt, dass du dich noch einmal auf einen Mann wie ihn einlassen willst? Hast du denn wirklich schon vergessen, was passiert ist, als du dich zum letzten Mal von ihm hast verführen lassen?
Die mahnende Stimme ihrer Vernunft verhallte ungehört. Sie war längst über den Punkt hinaus, an dem sie das Verhängnis noch hätte stoppen können. Sie wollte Lorenz nah sein, von ihm begehrt werden. Wen interessierte es, was der morgige Tag bringen mochte? In diesem Moment zählte nur die Gegenwart und …
Mit einem Mal spürte sie, wie jemand sie am Arm packte, und in der nächsten Sekunde wurde sie von Lorenz weggezogen. Lotte blinzelte irritiert, während sie einem jungen Mann, den sie noch nie zuvor gesehen hatte, hinterherstolperte. Sie brauchte einen Augenblick, bis sie realisierte, dass sie inmitten einer langen Reihe von Geburtstagsgästen steckte, die alle zusammen eine ausgelassene Polonaise tanzten.
Als sie sich suchend umblickte, entdeckte sie Lorenz ein paar Meter hinter sich, zwischen einer älteren Dame und einem halbwüchsigen Jungen. Er wirkte mindestens ebenso irritiert, wie sie selbst sich fühlte. Doch so langsam dämmerte ihr, dass sie dankbar sein sollte, denn das Schicksal hatte sie davor bewahrt, einen Fehler zu begehen.
Etwa eine Stunde später hatte das Motorboot, das sie zurück nach Kärlekholmen brachte, bereits den halben Weg zur Insel zurückgelegt. Die Fahrt verlief schweigend. Lotte blickte starr hinaus aufs Wasser, das in der Abendsonne rotgolden glitzerte.
Was sollte sie auch sagen? Im Grunde war zwischen Lorenz und ihr schon vor vielen Jahren das letzte Wort gesprochen worden. Der einzige Grund, warum sie sich überhaupt auf dieses merkwürdige Arrangement eingelassen hatte, war der Auftrag des schwedischen Königshauses, den sie dringend brauchte.
Als Halbbrasilianerin hatte die Königin die Verbindung zu ihren beiden Heimatländern – Brasilien und Deutschland – nie abreißen lassen. Auch die Kronprinzessin und ihre Geschwister kannten und pflegten ihre Wurzeln. Eine Empfehlung von höchster Stelle konnte den Beginn eines ganz neuen Lebens für Lotte bedeuten. Sie wartete schon so lange auf diese Chance, dass sie jetzt einfach nicht scheitern durfte.
Unwillkürlich fragte sie sich, was wohl Lorenz’ Antrieb sein mochte. Solange sie ihn kannte, hatte er eigentlich immer nur eines werden wollen: Landwirt. Im Grunde wunderte es sie, dass er sich stattdessen ganz offenbar für eine Karriere als Landschaftsarchitekt entschieden hatte. Sie war überzeugt gewesen, dass er eines Tages den Hof seines Vaters übernehmen und weiterführen würde. Was mochte geschehen sein, dass daraus nichts geworden war?
“Warum bist du eigentlich Landschaftsarchitekt geworden?”, sprach sie ihre Frage aus einem plötzlichen Impuls heraus laut aus. “Wolltest du nicht eigentlich immer den Hof deines Vaters übernehmen?”
Sein finsterer Blick ließ sie bereuen, das Thema überhaupt angesprochen zu haben.
“Das geht dich nichts an”, erklärte er unfreundlich, drehte sich um und würdigte sie für den Rest der Überfahrt keines Blickes mehr. Als sie ein paar Minuten später am Steg von Kärlekholmen festmachten, half Lorenz ihr nicht von Bord.
Lotte entschloss sich, das Thema Bengtsson-Hof vorerst fallen zu lassen. Gleichzeitig nahm sie sich vor, herauszufinden, was Lorenz’ Leben so aus der Bahn geworfen hatte.
Natürlich nur, um sich selbst die Zusammenarbeit mit ihm zu erleichtern.
Das zumindest versuchte sie sich einzureden, während sie dem gewundenen Weg nach Kärlekholmen Slott folgten.
“Was soll das heißen, wir sind draußen?”, fragte Viggo Tjaderborg ungläubig ins Telefon. Es war Abend, und er hatte bis eben an seinem Schreibtisch gesessen. Jetzt sprang er ruckartig auf und begann, wütend im Raum auf und ab zu gehen. “Das ist ja wohl nicht zu fassen!”
Ohne sich von seinem Gesprächspartner zu verabschieden, beendete er das Telefonat und legte den Hörer zur Seite. Dann trat er zum Fenster, riss es auf und atmete die kühle Abendluft ein, um sich zu beruhigen. Was nichts half.
Er hatte gleich geahnt, dass Lorenz Bengtsson Schwierigkeiten machen würde. Dieser Mann besaß einen geradezu penetranten Sinn für Gerechtigkeit, das wusste er aus Erfahrung. Bengtsson und er waren auf dieselbe Uni gegangen. Als Viggo kurz vor einer wichtigen Prüfung stand, hatte er versucht, sich die
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