Der Kuss des Anubis
dir komme. Aber man hat mich leider zu spät informiert, dass du der gefangene Grabräuber bist!«
»Ist das der letzte Dienst, den du mir vor meinem Tod erweisen möchtest, Göttervater?«, sagte Ramose. Wie seltsam die eigene Stimme in seinen Ohren klang, so ängstlich und dünn!
Eje reichte ihm einen Becher Wein.
»Trink!«, sagte er. »Und lass dir dabei ruhig Zeit. Anschließend werden wir beide uns unterhalten.«
Der Wein schmeckte leicht bitter. Sofort stieg erneut Furcht in Ramose auf. War der alte Mann gerade dabei, ihn mit Gift zu beseitigen?
Eje schien seine Befürchtungen zu spüren.
»Eine Prise Wermut«, sagte er lächelnd. »Nichts, was dich ängstigen müsste. Es wird dich entspannen. Manche behaupten auch, dass es bei der Wahrheitsfindung hilfreich sei.«
Wie von Zauberhand lag auf einmal der blutrote Herzskarabäus vor ihm auf dem Tisch. Ramose sog scharf die Luft ein. Wieso verfolgte ihn dieses Amulett?
Nichts als Unheil hatte es ihm bislang eingebracht!
»Damit hab ich nichts zu tun, das musst du mir glauben«, sagte er heftig. »Ich bin kein Grabräuber! Eines Tages
hab ich dieses Amulett in meiner Werkstatt vorgefunden, zusammen mit einem seltsamen Stück Papyrus. Seit jenem Tag ist mein Leben Stück für Stück auseinandergebrochen. Und es ist mir bis heute nicht gelungen, es wieder einigermaßen zusammenzukitten.«
Eje musterte ihn ruhig.
»Du weißt, woher der Herzskarabäus stammt?«, fragte er.
Ramose nickte. »Ich hab die Rückseite gelesen. Er gehörte Pharao Echnaton.«
»Den alle inzwischen den großen Ketzer nennen.« Ejes Tonfall hatte etwas Lauerndes bekommen.
»Aus meinem Mund wirst du diese Schmähung nicht zu hören bekommen«, sagte Ramose. »Ich habe dem Pharao stets treu gedient, das weißt du. Im Leben wie auch …« Er schien sich plötzlich verschluckt zu haben.
»… im Tod«, vollendete Eje an seiner Stelle den Satz. »Du hast ihn niemals verlassen. Wenn einer das mit Fug und Recht für sich in Anspruch nehmen darf, dann du.«
Ramose hielt den Kopf gesenkt.
»Ich habe mich damals deinem Befehl gebeugt, Göttervater«, sagte er. »Was du mir in Aussicht gestellt hattest, klang überaus verlockend: ein Neuanfang, ein sicheres, bequemes Leben, eine größere Werkstatt in Waset - ich habe mit beiden Händen zugegriffen. Ein großer Fehler. Das weiß ich heute.«
»Wen sonst hätte ich darum bitten sollen?« Eje hatte sich erhoben und stand jetzt ganz nah vor ihm, die Fingerspitzen aneinandergelegt, als stelle sich ihm noch einmal die Frage von damals. »Du warst der beste Balsamierer der ganzen Sonnenstadt!«
»Ich hätte trotzdem ablehnen müssen«, sagte Ramose dumpf. »Denn dadurch habe ich meine Frau verloren. Als Sadeh zugetragen wurde, was ich getan hatte, hat sie sich angeekelt von mir abgewandt. Mit einem solchen Mann konnte und wollte sie nicht mehr leben.«
Er schien den Tränen nahe.
»Sie hat sogar gedroht, mir das Kind wegzunehmen. Nur durch Zwang konnte ich sie dazu bringen, mir wenigstens Miu zu lassen. Sie war noch so klein damals! Es schien mir einfacher, ihr weiszumachen, ihre Mutter sei gestorben, als sie mit einer Wahrheit zu konfrontieren, die uns beiden nur wehgetan hätte.«
»Du klingst noch heute sehr verletzt, wenn ich dich so reden höre«, sagte Eje.
»Das bin ich! Damals glaubte ich noch, Gefühle wären etwas, das ich mir nicht leisten darf. Heute aber weiß ich, ich hätte auf mein Herz hören müssen. Niemand darf sich anmaßen, Tote aus ihrer Ruhe zu reißen, um sie einer johlenden Meute vorzuwerfen.Auch nicht, um das unsterbliche Leben eines toten Königs und seiner Königin zu schützen.«
»Haremhab hätte keine Gnade gekannt«, sagte Eje. »Den Gott Aton hatten er und seine Anhänger bereits für tot erklärt. Nun wollten sie auch noch das königliche Paar auslöschen, das ihn zum einzigen Gott erhoben hatte, indem sie Echnatons und Nofretetes Mumien einer öffentlichen Schändung preisgaben. Wer in aller Welt hätte sich dem General entgegenstellen können? Tutanchaton, wie er damals noch hieß, war ein unmündiges Kind, das sich niemals hätte wehren können. Wir beide mussten so handeln, wie wir es getan haben!«
Ramose rutschte auf seinem Hocker unbehaglich hin und her. Er spürte die Wirkung des Wermuts in seinem Blut, fühlte sich erhitzt, beinahe fiebrig.
»Kann ein General Göttern Befehle erteilen?«, sagte er. »Mach Haremhab im Nachhinein nicht mächtiger, als er war, Göttervater! Er wollte unbedingt
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