Der Kuss des Anubis
scheußlich dabei gefühlt, das musst du mir glauben! Aber meine Kinder brauchten doch etwas zu essen …«
»Und dafür muss mein armer Kenamun jetzt büßen?«, stieß Iset hervor. »Weil er mit der Tochter eines Verräters verheiratet ist, der auch noch geheime Pläne weitergegeben hat? Wieso hast du mich niemals eingeweiht, Mutter? Ich bin doch schon lange kein kleines Kind mehr!«
Sheribin hatte schluchzend die Hände vor das Gesicht geschlagen.
Ani war schweigend hinausgegangen. Iset folgte ihm nach einer Weile. Keku tapste ihr hinterher und rollte sich auf ihrem Schoß ein, als sie und Ani nebeneinander vor dem Haus saßen.
»Mein Kopf brummt von diesen alten Geschichten«, sagte Ani. »Aber jetzt verstehe ich wenigstens, warum mein Vater immer so verbittert war, so hasserfüllt. Nicht nur an mir hat er das ausgelassen. Niemals habe ich ihn freundlich mit Ramose reden hören. Sogar Miu hat er meistens wie Luft behandelt.«
»Miu!«, rief Iset. »Gütige Isis, steh mir bei! Miu habe ich in der ganzen Aufregung ja vollkommen vergessen!«
»Was ist mit Miu?«, fuhr Ani sie an.
»Sie begeht gerade eine Riesendummheit! Ipi hat ihr eingeredet, er sei im Besitz gewisser Beweise, die ihren Vater retten könnten.«
»Ausgerechnet diesem Ipi traut sie?«, rief Ani. »Diesem widerlichen Kerl? Das kann ich nicht glauben!«
»Weil sie so verzweifelt ist und ihren Vater retten will! Ipi hat sie in Ramoses Werkstatt bestellt. Dort soll sie mehr erfahren.«
»Und wann? Weißt du das auch?«
»Sie müsste eigentlich gerade dort sein«, sagte Iset. »Aber wohin willst du denn …?«
»Zu Miu!« Ani sprang so ungestüm auf, dass der Kater ebenfalls einen wilden Satz machte. »Sie braucht dringend meine Hilfe!«
Anchesenamun hatte in blauem Lotosöl gebadet, sich mit weichen Tüchern abtupfen und anschließend massieren lassen. Nach den kundigen Griffen der jungen Nubierin fühlte ihr Körper sich weich und entspannt an, nur die Knöchel waren noch immer geschwollen. Ob sie jemals wieder so zierlich würden wie vor der Schwangerschaft? Manchmal empfand sie das Wesen in ihrem Bauch, das ihre Gestalt so stark veränderte, beinahe als fremd.
Doch solche Gedanken vertrieb die Große Königliche Gemahlin schnell wieder.
»Du bist willkommen, willkommen«, summte sie, während man sie ausgiebig für den festlichen Abend schminkte. »Der künftige Herrscher Kemets - mein Faustpfand für die Freiheit! Nicht mehr lange, und wir beide werden ein wunderbares Leben haben, mein Kleiner!«
Dienerinnen brachten verschiedene Gewänder zur Auswahl, und es dauerte eine ganze Weile, bis Anchesenamun sich entschied. Ihre Wahl fiel schließlich auf ein dünnes weißes Trägerkleid, das die voller gewordenen Brüste unterstrich und eng genug anlag, um den Bauch auf vorteilhafte Weise zur Geltung zu bringen.
Dann rief sie nach den Schmuckanlegerinnen.
Wenig später baumelten stilisierte Lotosblüten aus Lapislazuli an ihren Ohren und den schlanken Hals schmückte ein Collier mit einem prächtigen Skarabäus aus Türkis.Auf Ringe verzichtete sie ganz, weil sie sich nun schwerer über die Finger streifen ließen. Dafür waren ihre nach wie vor schlanken Arme überreich mit Goldreifen geziert.
Sie ließ sich die beiden größten Spiegel bringen und nickte erfreut, als sie ihr Bild zurückwarfen.
Jeder Zoll eine Königin. Niemals zuvor war sie schöner gewesen.
Anchesenamun hörte, wie die Hunde im Nebenraum zu knurren begannen. Eine Hofdame kam atemlos hereingelaufen.
»General Haremhab, Herrin!«, rief sie. »Ich sagte ihm schon, dass du noch beschäftigt bist. Er aber wollte sich nicht abweisen lassen und behauptet, es sei dringend.«
»Er soll hereinkommen«, sagte Anchesenamun. »Und ihr könnt euch alle zurückziehen. Bring mir noch geschwind meine Hunde. Danach brauche ich euch nicht mehr.«
Sie gefiel ihm, sehr sogar, das erkannte sie an seinem bewundernden Blick, noch bevor er den Mund aufgemacht hatte. Der General war bis heute ein anziehender Mann geblieben, über dessen Liebeskünste vielerlei Gerüchte im Umlauf waren, die ihr früher einmal imponiert hatten. Inzwischen jedoch interessierte sie solches Geschwätz nicht mehr. Haremhab war und blieb trotz allem ein Diener - und die künftige Herrscherin Kemets würde sich niemals mit einem Diener einlassen.
»Du bist bereit für heute Abend, Herrin?«, sagte er nach seiner Verneigung.
»Das bin ich, General. Deine Vorbereitungen sind ebenfalls abgeschlossen, wie ich
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