Der Kuss des Anubis
Pharao werden und dazu war ihm jedes Mittel recht. Das ist sein Teil der Schuld. Doch was habe ich getan? Ich habe dir zwei balsamierte Leichen ausgehändigt, damit du sie vor dem Volk als König und Königin ausgeben konntest und somit die Mumien von Echnaton und Nofretete nicht angetastet werden mussten.«
»Du warst sehr mutig damals, Ramose.«
»Mutig? Nein, das war ich sicherlich nicht! Aus Unbedachtheit und Gier habe ich das Leben dieser beiden unbekannten Toten für alle Ewigkeit zerstört. Als ich dann auch noch mit ansehen musste, wie man sie an die Streitwagen band und unter Lachen und Grölen der Zuschauer erbarmungslos durch die Straßen der Sonnenstadt geschleift hat …«
Ramose hielt im Reden inne und schlug sich leicht gegen die Stirn.
»Das also hat der geheimnisvolle Schreiber des Papyrus mit seinem seltsamen Satz gemeint. Er hat auf die Vergangenheit angespielt, und das konnte er nur, weil er offenbar genau wusste, was wir beide damals eingefädelt hatten! Allerdings hat er sich reichlich Zeit gelassen, mich daran zu erinnern.«
»Man hat dich erpresst?«, fragte Eje, dem keine von Ramoses Regungen entgangen war. »Indem man dir das Amulett zugespielt und dich damit an deine alte Schuld gemahnt hat? Was genau solltest du tun?«
»Ich weiß es nicht - das ist ja gerade das Seltsame daran! Jemand hat mir meine kostbarsten Öle gestohlen und sie ausgegossen. Dieser Jemand ist nicht einmal davor zurückgeschreckt, einige Mumien, die man mir anvertraut hat, zu verschandeln. Aber bis heute kam nicht eine einzige konkrete Forderung! Wie passt das alles zusammen? Und jetzt noch diese Anzeige wegen Grabräuberei! Gäbe es nicht unsere frühere Verbindung, mein Leben wäre verwirkt.«
»Sei unbesorgt«, sagte Eje. »Aber ich finde, wir sollten dich noch eine kleine Weile hierbehalten. Lass es nach außen ruhig so aussehen, als wärst du schuldig! Das könnte uns helfen, die wahren Schuldigen leichter dingfest zu machen.«
Eje trat zu ihm und legte ihm die Hand auf die Schulter.
»Was ist es, was dich am meisten ängstigt?«, fragte er. »Keine Angst, Ramose, ich will es nicht gegen dich verwenden! Du hast mir damals einen großen Gefallen erwiesen. Heute bin ich an der Reihe. Also vertrau mir - und rede! Vielleicht finden wir so heraus, wer beschlossen hat, dich zu vernichten.«
»Wenn Sadeh etwas zustoßen würde«, sagte Ramose sofort. »Jetzt, wo wir vielleicht wieder zusammenkommen könnten. Oder schlimmer noch, wenn Miu …«
Die beiden Männer sahen sich an. Im Raum war es sehr still geworden.
Verschwitzt kehrte Iset ins Wüstendorf zurück. Der Heimweg war ihr länger und mühsamer denn je erschienen, sie
hatte eine Fähre verpasst, weil sie mit ihrem Bauch nicht mehr schnell genug laufen konnte, und bei der Flussüberquerung hatte sie sich das Gezeter einer alten Nachbarin anhören müssen, die halb taub war und deshalb besonders laut redete.
Sheribin nahm sie an der Schwelle in Empfang. Ani wartete ab, bis die Tür sich geschlossen hatte, bevor er sich ebenfalls zeigte.
»Vielleicht entscheidet sich alles bereits heute Abend«, sagte er. »Kenamun und ein paar andere Männer aus dem Wüstendorf sollen zu den Königsgräbern kommen, sobald es dunkel geworden ist. Jetzt rate mal, wer ihnen das befohlen hat!«
Iset und Sheribin sahen ihn fragend an.
»Userkaf!«, sagte Ani triumphierend. »Er und kein anderer ist der Drahtzieher, von dem dein Mann gesprochen hat. Userkaf, der mich der Grabräuberei bezichtigt und dafür sogar ins Loch gesteckt hat. Alles nur, um sich selber reinzuwaschen!«
»Was genau habt ihr vor?«, fragte Iset beklommen. »Auf einmal bekomme ich große Angst.« Keku schien es zu spüren und strich um ihre Beine.
»Ja, sie hat recht«, sagte Sheribin. »Mit diesem schrecklichen Userkaf ist nicht zu spaßen, das weißt du doch.« Ihre Hand berührte Isets Bauch. »Hier drinnen wächst ein Kind, das einen Vater braucht, vergiss das nicht!«
»Es gibt nicht nur korrupte Polizisten«, sagte Ani lächelnd. »Und einem von ihnen, der ganz besonders rechtschaffen und dem Pharao ergeben ist, hab ich vorhin eine Nachricht zukommen lassen. Imeni wird persönlich dafür sorgen, dass sie in den Palast gelangt. Dann werden Userkaf
und seine Begleiter heute Nacht womöglich mit überraschendem Besuch zu rechnen haben!«
Falls er ein befreites Lächeln von ihr erwartet hatte, so hatte Ani sich getäuscht. Iset fühlte sich sogar noch verzweifelter als zuvor.
»Was wird dann
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