Der Kuss des Anubis
annehme?«
»Alles wie besprochen.« Seine Augen ruhten nicht länger auf ihrem Gesicht, sondern glitten tiefer. Was maßte er sich an? Schließlich war sie nicht eine seiner Feldhuren, die er mit Blicken ausziehen konnte!
»Was, wenn der Pharao sein Vorhaben ändert? Mein Gemahl kann so sprunghaft sein in letzter Zeit. Gibt es dafür eigentlich auch einen Plan?«, fragte sie.
Das Gesicht des Generals verdüsterte sich prompt.
»Tutanchamun wird dieses Rennen fahren«, sagte er dumpf. »Und wenn ich ihn eigenhändig auf den Streitwagen heben muss.«
»Er liebt seine neuen Pferde«, erwiderte Anchesenamun. »Wind und Sturm seien seine engsten Vertrauten, das habe ich ihn erst gestern sagen hören. Wie überaus traurig wäre es doch, wenn Tutanchamun erfahren würde, dass der Mann, der sie ihm geschenkt hat, die Mumie seines toten Vater öffentlich schleifen und damit schänden ließ!«
Haremhab machte einen Schritt auf sie zu. Die Hunde legten die Ohren an und setzten sich auf.
»Spiel nicht mit mir«, sagte er drohend. »Alles, was geschieht, geschieht allein um deinetwillen. Falls ich aber annehmen müsste, dass du mich hintergehen willst, nachdem ich es getan habe …«
Sie erwiderte seinen Blick ohne Angst.
»Du willst Pharao werden«, sagte sie. »Doch das kannst du erst, nachdem der Falke zum Himmel geflogen ist. Vergiss das nicht, General.« Lächelnd ließ sie sich zurücksinken und wirkte auf dem nachtblauen Kissen wie eine
kostbar dekorierte Götterstatue aus Fleisch und Blut. »Verlass uns jetzt! Das Kind und ich brauchen dringend Ruhe.«
Schon halb im Gehen, drehte Haremhab sich noch einmal um.
»Mich zu unterschätzen, wäre ein grober Fehler«, sagte er. »Das haben schon andere zu spüren bekommen. Ich weiß von jenem Brief an den König der Hethiter, den Ejes Leute abgefangen haben. Ich weiß auch, dass du ihn geschrieben hast, was Tutanchamun sicherlich brennend interessieren würde. Mach dir übrigens über die geschändeten Mumien keine Sorgen! Dieses Problem wird es schon morgen nicht mehr geben.«
»Wir machen uns keine Sorgen«, murmelte sie in seinen Rücken. »Der künftige Erbe Kemets und ich!«
Mit einem merkwürdigen Gefühl im Bauch näherte sich Ani der Werkstatt des Balsamierers. Langsam wurden die Schatten länger, und die Sonne verlor ihre Glut, doch ihm war heißer als sonst unter sengender Mittagshitze.
Von Anfang an hatte er Ramoses Gehilfen verabscheut, weil ihm Ipis gierige Blicke nicht entgangen waren, die er dem Mädchen zugeworfen hatte. Doch das war nicht der einzige Grund für Anis Abneigung. Etwas Ungutes ging von Ipi aus, eine Aura der Gemeinheit und Niederträchtigkeit, die Ani abstieß. Einem Ipi war alles zuzutrauen. Miu ausgerechnet in dessen Gewalt zu wissen, machte ihn wütend wie einen jungen Stier.
Zu seinem Erstaunen schienen die Arbeiter ihre Tätigkeit
bereits beendet zu haben. Die Werkstatt war still. Nirgendwo auch nur ein Zeichen von Leben.
Ani rüttelte an der Haupttür. Vergebens.
Er klopfte und rief. Keinerlei Antwort.
War das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen?
Wieder umrundete er das lang gestreckte Gebäude und fühlte sich schon ein wenig ratlos, als ihm plötzlich eine Szene einfiel, die ein paar Jahre zurücklag. Damals hatte er beobachtet, wie Ramose einen Seiteneingang benutzt hatte, und nach jenem sah er sich nun um.
Seine Erinnerung hatte ihn nicht getrügt. Da war sie, eine kleine, unscheinbare Tür, die man leicht übersehen konnte.
Ani bewegte den abgegriffenen Knauf - und befand sich im Inneren des Gebäudes.
»Miu!«, rief er. »Miu - bist du hier irgendwo?«
Die Räume, in denen die Mumien aufgebahrt waren, durchquerte er rasch. Allerdings fiel ihm auf, dass es hier keineswegs so peinlich ordentlich war, wie er es von früheren Besuchen her gewohnt war. Alles schien leicht verschoben, verschiedene Gegenstände standen sinnlos herum, man merkte, dass Ramoses ordnende Hand fehlte.
Die Gegenwart der präparierten Toten machte Ani nichts aus, auch nicht der Geruch, der in allen Räumen in der Luft hing. Überall schaute er nach, rief immer wieder Mius Namen, öffnete alle Türen, spähte in jeden Kasten.
Keine Spur von einem Kampf, was ihn beruhigte.
Doch wo steckten Miu und dieser Widerling? Hielt Ipi sie womöglich irgendwo gegen ihren Willen gefangen?
Als Ani als Letztes die Kammer erreicht hatte, wo die Amulette für die Grabbeigaben gelagert wurden, atmete er unwillkürlich leichter. Hier hatte er sich auch
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