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Der Kuss des Anubis

Titel: Der Kuss des Anubis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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Gewissheit erfasste.
    Ipi kannte sich hier offenbar bestens aus. Er musste schon öfter hier gewesen sein!
    »Du gehörst zu den Grabräubern«, entfuhr es ihr. »Und alles, was man meinem unschuldigen Vater vorwirft, hast eigentlich du verbrochen!«
    Sein Dauergrinsen erschien ihr im unruhigen Schein der Fackel wie eingemeißelt.
    »So unschuldig, wie du es gern hättest, ist dein Vater nicht«, sagte Ipi. »Es gibt da einige Leute, die noch offene Rechnungen mit ihm haben. Und die muss Ramose nun bezahlen - so ist nun mal das Leben!«
    Wo war sie hier nur gelandet?
    Zuerst hatte Miu angenommen, die Mauern wären nackt und die Bilder, die sie dort zu sehen glaubte, nur eine Ausgeburt ihrer aufgewühlten Fantasie, doch sie hatte sich geirrt. Die unebenen Wände waren bemalt, wenngleich offenbar in großer Hast, denn man hatte ganze Felder farblich ausgespart, anderes wiederum nur mit ein paar dunklen Strichen skizziert, als ob die Arbeiter lediglich eine kurze Pause einlegt hätten, bevor sie gleich wieder ihre Tätigkeit aufnehmen würden.
    Direkt vor sich erkannte Miu einen liegenden Anubis,
pechschwarz wie Anchesenamuns riesige Hunde, mit spitzen Ohren und gelben Augen, so lebensecht, dass man ihn fast knurren hören konnte!
    Ipi war ihren suchenden Blicken gefolgt.
    »Er bewacht dich hier unten und er bewacht dich gut! Denn allein wirst du den Ausgang niemals finden«, sagte er. »Das kannst du gleich vergessen. Es gibt da einen jungen, begabten Tunnelbauer aus dem Wüstendorf, der die besten Irrgänge anlegen und täuschend echte Scheintüren bauen kann. Seine Kunstfertigkeit bewundere ich schon seit Langem. Doch in diesem Grab hat Kenamun sich selber übertroffen.«
    Sein Lachen hatte Ähnlichkeit mit dem Meckern eines Ziegenbocks. Miu bekam Gänsehaut, wie so oft in seiner Nähe.
    »Kenamun? Ich glaub dir kein Wort«, rief sie. »Für einen wie dich würde Isets Mann keinen Finger rühren! Das sagst du doch alles nur, um mich einzuschüchtern, aber das wird dir nicht gelingen. Zum letzten Mal, Ipi: Rück endlich diese versprochenen Beweise heraus - oder ich will auf der Stelle wieder raus!«
    »Beweise, Beweise, immer nur Beweise! Wir brauchen keine Beweise, um jemanden ins Gefängnis zu bringen. Warum willst du es nicht einfach kapieren?«, sagte er lauernd. »Ein so kluges Mädchen - und dann doch wieder so entsetzlich dumm!«
    »Wovon redest du?«
    »Von dir und mir natürlich! Dass wir für immer zusammengehören. Weil wir füreinander bestimmt sind. Du wirst meine Frau, Mutemwija. Hör endlich auf, dich dagegen zu sträuben, denn es wird ohnehin geschehen. Wenn
es sein muss, dann meinetwegen schon hier, im Grab des großen Ketzers!«
    »Niemals!«, schrie Miu. »Und wage bloß nicht, mich anzurühren! Du lässt mich jetzt sofort gehen oder …«
    »So klug, wie du bist, hast du bestimmt auch ein hervorragendes Gedächtnis!« Er redete einfach weiter, als hätte er sie gar nicht gehört! Miu spürte, wie ihr innerlich ganz klamm zumute wurde. Warum nur war Mama jetzt nicht bei ihr oder Großmama, um diesen Widerling ein für alle Mal in seine Schranken zu weisen? »Dann weißt du sicherlich noch, wie ich dir von jenem Tag erzählt habe, an dem Himmel und Erde die Plätze tauschen werden?«
    Auf einmal hielt er wieder die Fackel in der Hand. Was genau hatte er damit vor?
    Mius Augen irrten hin und her.
    »Dieser Tag ist heute, Mutemwija. Und damit du ihn auch in vollen Zügen genießen kannst, werde ich dich jetzt ein Weilchen allein lassen.«
    Seine Stimme war leiser geworden, denn er hatte sich Schritt für Schritt von ihr entfernt.
    »Untersteh dich!«, rief Miu. »Was fällt dir ein, Ipi? Komm auf der Stelle zurück!«
    Sein Licht konnte sie noch sehen, doch ihre Beine weigerten sich, ihm zu folgen, so groß war ihre Abscheu.
    »Du rufst nach mir?« Sie musste sich anstrengen, um ihn noch zu hören, so weit entfernt war er offenbar schon. »Welch lieblicher Ton - und wie lang hab ich mich vergeblich danach verzehren müssen! Doch noch immer vermisse ich in deiner Stimme den Schmerz der Sehnsucht und den Hauch des Verlangens. Ich denke, ich werde beides vorfinden,
wenn ich wieder zu dir zurückkehre. Leb wohl, meine Mutemwija …«
    Miu war allein.
    Die Dunkelheit leckte mit gierigen Zungen nach ihr.

    Der Mond war aufgegangen, als Ani den Graureiher erreichte. Die letzte Fähre für heute hatte ihn zum Ostufer gebracht. Wenn er nachher noch zurück zum Westufer wollte, musste er andere Wege finden, um

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