Der Kuss des Anubis
fest hielt er ihn.
Plötzlich lautes Knurren.
In wildem Lauf jagten zwei schwarze, schlanke Tierleiber auf den Streitwagen zu und sie trieben etwas sehr viel kleineres Rötliches vor sich her.
Jamu, verfolgt von den Hunden seiner Frau!
Für die Dauer eines Schlages schien das Herz des Pharaos auszusetzen, denn der Feuerkater schoss in seiner Panik direkt auf die donnernden Pferdehufe zu.
Tutanchamun riss hart am Zügel, um auszuweichen, hielt aber zu seinem Schreck plötzlich nur noch ein loses Ende in der Hand. Jamu war entkommen und in der Nacht verschwunden.
Sturm, der schwarze Hengst, war nun ohne Führung und stieg. Wind, der rechts lief, ließ sich ebenfalls nicht mehr bändigen und versuchte, nach der anderen Seite auszuscheren.
Der Streitwagen kippte.
Verzweifelt versuchte der Pharao, sich oben zu halten, doch er verfehlte den Griff und wurde auf dem Trittbrett herumgeworfen wie eine Puppe. Für die Pferde gab es kein Halten mehr. Wiehernd gingen sie durch, den schlingernden Wagen hinter sich her ziehend.
In der nächsten Kurve verlor Tutanchamun endgültig das Gleichgewicht. Bei voller Fahrt wurde er herausgeschleudert, stürzte auf den Sand und rührte sich nicht mehr.
Ein schriller Schrei, den die Große Königliche Gemahlin ausgestoßen hatte.
Dann erst kam Bewegung in die fassungslose Zuschauerschar.
Der Stallmeister und seine Gehilfen rannten auf die Rennbahn und fingen die scheuenden Pferde ein. Maya war der Erste, der bei Tutanchamun war und sich besorgt über ihn beugte.
Der Pharao atmete, schien aber ohne Bewusstsein.
Blut strömte über sein Gesicht, doch das war für Maya nicht einmal das Schlimmste, denn es stammte offenbar aus einer Platzwunde auf der Stirn. Sehr viel größere Sorgen bereitete ihm der linke Oberschenkel, der so unnatürlich verdreht war, als würde er nicht mehr zum restlichen Körper gehören. Sehen konnte er zwar nur eine kleine Wunde, doch sie blutete ungewöhnlich stark.
»Kannst du mich hören, mein König?«, rief er. »Schnell, bringt eine Trage - und viele, viele Tücher! Wir müssen ihn besser lagern und unbedingt das Blut zu stillen versuchen. Schafft vor allem den Sunu her. Der wird wissen, was sonst noch zu tun ist.«
Anchesenamun, gefolgt von Haremhab, rannte herbei und schob Maya zur Seite.
»Was ist mit meinem Gemahl?«, rief sie. »Atmet er noch? Muss er sterben?«
»Das weiß Amun allein.«
Totenblass gab Maya den Männern weitere Anweisungen. Als sie den Schwerverletzten anhoben, stieß Tutanchamun ein tiefes, schmerzerfülltes Stöhnen aus.
»Er lebt!«, rief Anchesenamun. Auch sie war blass und keuchte, weil sie so schnell gerannt war. »Habt ihr das gehört? Er lebt und kann wieder gesund werden! Das kann er doch, oder?«
Haremhab warf ihr einen seltsamen Blick zu. Plötzlich krümmte sie sich mit einem Laut des Entsetzens nach vorn und sackte gleich darauf zusammen. Blut rann über ihre Schenkel, tropfte dunkel auf den hellen Sand.
»Herrin!«, rief der General. »Was ist mit dir? So helft ihr doch!«
»Mein Kind!«, stieß sie schluchzend hervor, während man sie auf eine zweite Trage hob und hinter dem Pharao zurück in den Palast trug. »Der Erbe Kemets. Er muss doch leben!«
Miu suchte verzweifelt nach einem Ausweg. Ipi hatte sie so lange in der Grabkammer umhergescheucht, bis sie kraftlos nach Atem rang. Inzwischen brannte er vor Wut, das sah sie an der tiefen Zornesfalte zwischen seinen schütteren Brauen.
»Du machst alles nur noch schlimmer!«, keuchte Ipi.
»Entkommen kannst du nicht - und wenn ich dich jetzt zu fassen kriege, gehörst du mir!«
»Niemals!«, schrie Miu, obwohl sie gerade merkte, dass sie sich beim Rennen verkalkuliert hatte, weil der schmale Gang, auf den sie all ihre Hoffnungen gesetzt hatte, sich plötzlich als bloße Mauernische entpuppte. »Niemals - hörst du! Ich werde nicht deine Frau, weder hier unten noch sonst irgendwo.«
Unaufhaltsam kam er näher. Was hatte Raia ihr eingeschärft, für den Fall, dass sie in Not geraten war, ihre Angst aber nicht zeigen durfte?
In Mius Kopf war auf einmal alles weiß und leer.
»Gib auf, Mutemwija«, hörte sie ihn sagen. Er war nur noch wenige Schritte entfernt. »Ich will dir doch nicht wehtun! Aber wenn du so störrisch bist wie eine junge Eselin, kann ich für nichts garantieren.«
Das widerliche Gefühl von seiner Haut auf ihrer Haut, als er sie berührte. Und erst dieser süßliche Verwesungsgestank, stärker als je zuvor! Warum nur war sie auf
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