Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Kuss des Anubis

Titel: Der Kuss des Anubis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
Vom Netzwerk:
ich, mein König, du mögest leben, heil und gesund sein.« Der Wagenmeister verneigte sich tief. »Erst heute Nachmittag habe ich die Räder eigenhändig mit besonders starkem Leder bezogen. Du wirst auf dem Sand wie ein Pfeil dahinfliegen!«
    Tutanchamun griff nach den Zügeln.
    »Dreißig scharfe Runden«, sagte er. »Heute Abend werde ich meinen eigenen Rekord brechen.«

    »Ihr fangt hier an, am Grab der Ketzerhure«, sagte der Mann mit dem Geierprofil, der in einen langen, dunklen Umhang gehüllt war, wie ihn die Bewohner der großen Oasen trugen. »Ich will ein schönes starkes Feuer, das lange brennt. Von Nofretete soll nichts als ein Häuflein Asche übrig bleiben. Ihr habt doch ausreichend Holz und Zunder mitgebracht?«
    »Das haben wir, Herr«, antwortete Userkaf. »Wo genau sollen die Männer das Feuer entfachen? Gleich hier am Eingang? Dann können die Flammen sich langsam nach drinnen fressen.«

    »Unsinn!«, blaffte der andere. »Ihr kriecht hinein. Erst wenn ihr in der Grabkammer seid, legt ihr Feuer. Die Mumie muss verbrennen, kapiert? Ganz und gar!«
    »Ihr? Ich soll da mit hinein?«, fragte Userkaf entsetzt. »Davon war bislang niemals die Rede!«
    »Der Anführer steht stets ganz vorn«, sagte der Mann ungerührt. »Im Leben wie auch im Sterben. Das sollte einer wie du verstanden haben.«
    »Aber wie sollen wir da heil herauskommen?«
    »Mit euren Beinen. Womit sonst? Vorausgesetzt, ihr lauft schnell genug.« Er hatte den Umhang zurückgeschlagen, gerade weit genug, damit Userkaf den Dolch an seinem Gürtel blitzen sah.
    War er allein gekommen? Jedenfalls war weit und breit kein anderer zu sehen. Was, wenn Userkaf seine Männer zusammenriefe und sie ihn gemeinsam unschädlich machten? Eine Vorstellung, die ihm sehr verlockend erschien.
    »Versuch es lieber erst gar nicht!«, sagte der Mann mit dem Geierprofil, als wüsste er genau, was gerade in Userkafs Kopf vorging. »Was einen Verräter erwartet, ist ungleich schlimmer als ein wenig verbrannte Haut. Und jetzt fangt endlich an! Schließlich wartet ja noch ein zweites Grab auf uns.«
    Steifbeinig näherte Userkaf sich den wartenden Männern.
    »Wir gehen hinein«, sagte er. »Alle zusammen. Sobald wir tief genug drin sind, legen wir das Feuer.«
    Keiner rührte sich.
    »Habt ihr mich nicht verstanden?«, bellte Userkaf. »Er hat uns alle in der Hand! Wenn wir nicht gehorchen, sind wir tot.«

    »Das sind wir vielleicht so oder so«, muckte einer Männer auf. »Wer sagt uns denn, dass er nicht vorhat, uns alle jämmerlich verbrennen zu lassen?«
    »Das wird er nicht. Weil es nämlich noch eine zweite Mumie gibt, die auch zu Asche werden soll. Also?« Userkaf wandte sich zum Gehen. »Wo steckt eigentlich Kenamun?«, fragte er, weil ihm dessen Fehlen jetzt erst aufgefallen war.
    »Zwei von uns mussten ihn nach Hause bringen. Er hat sich das Bein verletzt. Konnte kaum noch humpeln.«
    Userkaf spürte, wie Zorn in ihm aufwallte.
    »Mit diesem unverschämten Kerl rechne ich persönlich ab«, sagte er. »Sobald unser Einsatz beendet ist. Kommt, Männer, wir haben keine Zeit zu verlieren!«

    Überall war Dunkelheit, war sogar in Miu hineingeflossen wie ein zäher Brei. Nur hinter ihren schmerzenden Lidern war es taghell, denn der alte Albtraum hielt sie unbarmherzig in seinen Fängen. Immer wieder drängte er sich vor ihr inneres Auge und diesmal schien er ihr mehr zu offenbaren als je zuvor. Aber was der Traum ihr zeigte, hätte sie lieber nicht gesehen.
     
    Sie sitzt auf den Schultern des Geiermanns und kann sich die Augen nicht zuhalten, denn sie braucht ihre Hände, um sich an ihm festzukrallen, damit sie nicht herunterfällt.
    Überall geifernde Gesichter, offene Münder, gellende Schreie. Die Menge ist wie entfesselt. Leiber drängen nach vorn, Leute schlagen um sich, wollen die Vorderen wegdrängen, um ja nichts
zu verpassen. Sie bekommt einen harten Schlag in die Seite, der sie zusammenzucken lässt.
    »Siehst du, was gerade passiert, Kleine? Jetzt bereiten sie dem Ketzer und seiner Hure auf ewig den Garaus! Pass gut auf!«
    Grobe Hände packen sie, zerren sie herunter und schieben sie nach vorn. Sie hat keinen Boden unter den Füßen; ihre Beine baumeln ins Nichts. Der Geiermann hält sie wie in einem Schraubstock gefangen vor seiner Brust.
    »Du hast doch die Augen ganz weit auf? Denn das hier sollst du niemals vergessen!«
    Sie sieht zwei Streitwagen, golden und prachtvoll, in wilder Fahrt. Doch was ist das Dunkle, das sie hinter sich

Weitere Kostenlose Bücher