Der Kuss des Anubis
einmal wie gelähmt, unfähig, auch nur ein Glied zu rühren, dazu verdammt, den Kuss des Anubis zu empfangen?
Du musst ihre empfindlichste Stelle treffen . Hatte Großmama das wirklich so gesagt? Auf Anhieb. Denn du hast nur einen einzigen Versuch!
Wie in Trance hob Miu ihr Knie und stieß so fest zu, wie sie nur konnte.
Sie hatte perfekt getroffen.
Ipi griff sich jaulend zwischen die Beine.
Grob stieß sie ihn zur Seite und rannte los, auf den schmalen Gang zu.
»Verdammtes Luder!«, schrie er hinter ihr her. »Du
kommst nicht weit. Und dann werde ich dir zeigen, was passiert, wenn man mich nicht respektiert!«
Miu rannte weiter, gebückt, blindlings, einfach geradeaus. Ein brandiger Geruch drang in ihre Nase - Feuer!
Erschrocken blieb sie stehen. Vor ihr gabelte sich der Gang, doch wohin sollte sie? Sie machte ein paar Schritte nach rechts, hielt aber inne, weil der Geruch sich verstärkte. Dann wieder zurück und diesmal nach links, doch da stand bereits Ipi mit hämischem Grinsen.
»Du gehörst mir!«, rief er. »Finde dich endlich damit ab. Sonst lasse ich dich hier verrotten!«
»Ich will ja tun, was du verlangst«, sagte Miu mit dünner Stimme, weil ihr nichts anderes mehr einfiel. Sie musste ihn irgendwie hinhalten. Allein das zählte. »Aber nicht hier. Es brennt. Riechst du das nicht?«
Endlich schien auch er es zu bemerken.
»Wir gehen zurück«, befahl er. »Du bleibst ganz dicht hinter mir. Und noch ein einziger Angriff auf mich - und du wirst dieses Grab nicht mehr lebendig verlassen, das schwöre ich dir!«
Mius Beine waren wie aus Blei. Jeder Schritt so schwer, als schleife sie dicke Ketten hinter sich her. Allein die Füße zu heben, erschien ihr als Last, sie ging langsam und schlurfend wie ein uraltes Weib. Angst drückte ihre Schultern nach unten. Auch wenn sie jetzt gehorchte und tat, was er verlangte, würde Ipi sie niemals freilassen. Das wusste sie, noch bevor er erneut zu reden begann.
»Du gehörst mir, verstanden? Warte nur, bis wir draußen sind!«
Ihr Fuß stieß an etwas Hartes. Nur mit Mühe unterdrückte Miu einen Schmerzensschrei. Auf einmal konnte
sie sich wieder bewegen, bückte sich blitzschnell, griff zu, war wieder oben und ging danach sofort weiter, als sei nichts geschehen.
Ipis kantiger Schädel war nur eine doppelte Armlänge entfernt. Der große, raue Stein in ihrer Hand schien auf einmal zu glühen.
Ihre einzige Chance, wenn sie ihn überrumpeln wollte!
Miu atmete tief aus, dann hob sie den Arm, holte aus und schlug zu.
Sie hatte gut getroffen. Ipi ging zu Boden und rührte sich nicht mehr. Miu überwand ihre Angst und kroch über ihn, dem Ausgang zu. Er lebte. Sie spürte seinen Atem, auch wenn er wohl ohnmächtig war.
Sie war schon ein gutes Stück vorangekommen, als sie hinter sich sein wütendes Krächzen hörte.
»Ich kriege dich, du Miststück …«
Ani, Nefer und Kenamun erreichten keuchend das Grab. Alles schien still, nur der Schrei eines Nachtvogels ertönte über dem Tal.
»Wo sind sie jetzt, deine Soldaten?«, sagte Nefer. »Vielleicht konnte Imeni die Nachricht ja gar nicht in den Palast bringen! Vielleicht hat man ihn unterwegs abgefangen …«
»Vater!«, sagte Ani scharf. »Das bringt uns jetzt nicht weiter! Wo ist der Geheimeingang, Kenamun? Der, den Ipi auch nehmen würde!«
»Kommt mit! Nur ein Stück weiter.«
Von außen wirkte der Felsen unberührt, doch als
Kenamun einen Brocken zur Seite schob, öffnete sich plötzlich ein schmaler Schacht. Kenamun wollte schon hinein, als er plötzlich stutzte.
»Rindenreste und Zunderfasern«, sagte er. »Seht ihr? Da drüben auf dem Boden. Dort ist ein zweiter Eingang zum Grab, den haben sie offenbar benutzt. Vielleicht sind sie ja sogar noch drinnen!«
»Im Grab? Die Männer von Userkaf?«, rief Ani erschrocken. »Dann werden sie Miu verbrennen! Kommt, wir müssen sie rausholen!«
Nefer hielt ihn am Arm zurück.
»Was du da vorhast, ist lebensgefährlich«, sagte er.
»Na und? Miu ist mein Leben. Und jetzt lass mich endlich los! Du kannst tun, was du willst, aber ich muss zu ihr!«
Er kroch hinter Kenamun hinein, der ihm den Weg wies, und mit einem Seufzen schloss sich dann auch Nefer ihnen an. Es war eng und stickig, sie mussten sich bücken und sie schwitzten und stöhnten schon nach wenigen Schritten.
»Riecht ihr das?«, rief Kenamun. »Feuer! Macht schneller, jetzt kann es um Leben und Tod gehen!«
Heiße, brandige Luft schlug ihnen entgegen, die das Atmen immer schwieriger
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