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Der Kuss des Anubis

Titel: Der Kuss des Anubis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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so unwirklich wie ein Traum vor!
    Miu behielt also für sich, was sie auf dem Herzen gehabt hätte, und lauschte Isets schwärmerischen Tiraden, die kein Ende nehmen wollten.

    Es war kein Kerl zu finden, der eine Warze am rechten Nasenflügel hatte, im ganzen Palast nicht, obwohl man ausnahmslos jeden, der hier beschäftigt war, hatte antreten lassen. Jede Ecke, jeder Winkel war durchkämmt worden - ergebnislos.
    Gab es irgendeinen Grund, Eje zu misstrauen, der die Untersuchungen geleitet hatte?
    Obwohl Tutanchamun sich aus frühen Kindheitstagen ein gesundes Misstrauen bewahrt hatte, sah er dazu keinerlei Anlass. Der Alte war sehr viel mehr als nur sein Wesir, der mit den wichtigsten Aufgaben im Reich betraut war. Er war außerdem eine Art Vater für Tutanchamun, weil er seinen eigenen ja kaum gekannt hatte.
    Ob Eje bei seinen Nachforschungen vielleicht zu viele Wellen geschlagen und damit den Verdächtigen in die Flucht getrieben hatte?
    Einige junge Männer, die im Palast arbeiteten, waren dem Pharao tatsächlich vorgeführt worden, aber einer hatte eine Warze am Mund, der andere ein ganzes Warzennest am Arm, ein dritter eine hässlich wuchernde Ausbeulung an der Stirn. Zitternd vor Angst waren sie nach dem Verhör schließlich wieder abgetreten - und die Suche nach einem Attentäter hatte zu keinerlei greifbarem Ergebnis geführt.

    Und wenn das Mädchen doch gelogen hatte, einfach nur, um sich wichtig zu machen?
    Der Gedanke brachte Mius Bild in sein Gedächtnis zurück, ihre schlanke Gestalt in dem hellen Kleid, das dreieckige Gesicht, die schmalen grünlichen Augen. Wie eine Katze hatte sie ihn angeblinzelt; vielleicht trug sie ja ihren Kosenamen zu Recht. »Miu« bedeutete »Katze« und Katzen jagen Mäuse und haben Geheimnisse. Katzen schmeicheln, aber sie verstellen sich nicht, dazu sind sie zu unabhängig und zu stolz.
    Nein, er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass Miu ihn absichtlich hinters Licht geführt hatte!
    Seine innere Unruhe wuchs.
    Nach der Gesellschaft von Anchesenamun war ihm jetzt nicht, obwohl er ganz genau wusste, wie inständig die Große Königliche Gemahlin seine nächtlichen Besuche erwartete. Ob er sich stattdessen ein paar entspannte Stunden im Harim machen sollte?
    Auch das erschien ihm jetzt nur als Anstrengung, nicht als Erlösung.
    »Mein Herr?« Die schmale, leicht gebeugte Silhouette seines Leibdieners Bata schien im diffusen Licht der Öllampen zu zerfließen. »Was kann ich noch für dich tun?«
    »Lass mich allein«, sagte Tutanchamun aus einer plötzlichen Laune heraus. »Und meinen Schmuck lege ich auch selber ab. Manchmal braucht ein Pharao nichts als Ruhe.«
    Er trat nach draußen, wo die sanfte Kühle des nächtlichen Gartens ihn umfing. Doch nicht danach sehnte er sich, sondern nach der kompromisslosen Klarheit und strengen Einsamkeit der Wüste, wo es nichts anderes mehr geben würde als das Pfeifen des Windes, das Knirschen des
Sands unter den Rädern seines Streitwagens, das Schnauben der Pferde. Sollten doch alle die Wüste als das rote Reich des grausamen Gottes Seth schmähen - für ihn gehörte sie unabdingbar dazu, zu Kemet, der schwarzen, fruchtbaren Erde, die bald wieder zu neuem Leben erwachen würde!
    Ganz allein, inmitten von Wind und Sand, das waren die Momente, in denen er sich stets am meisten bei sich selbst fühlte: Dann war er kein König mehr, kein Herrscher, der über Leben und Tod zu entscheiden hatte, sondern nur noch ein junger Mann mit einem unbeugsamen Willen und großen Plänen, die er alle umsetzen würde - Tutanchamun.
    Nach einer Weile hielt er es nicht länger aus unter all den Palmen und Sykomoren, die ihre Pracht einzig und allein sorgfältiger, dauerhafter Bewässerung verdankten, und kehrte zurück in seine Gemächer. Dass Kemets kostbarstes Gut das Wasser war, wusste niemand besser als er, und die niedrigen Nilstände der vergangenen beiden Jahre lasteten schwer auf seiner Seele.
    Nur ein guter Pharao schenkt seinem Volk auch eine gute Flut - auch ohne seine Spitzel, die durch die Städte streiften und ihm wiedergaben, was sie erlauscht hatten, wusste er genau, was die Leute dachten. Er diente den Göttern, hatte dafür sogar die leuchtende Vision seines Vaters aufgegeben und seinen Namen geändert, alles einzig und allein, um dem Land wieder Frieden und Fruchtbarkeit zu schenken.
    Und wenn genau das sein größter Fehler gewesen wäre, für den er und alle anderen nun bitter büßen mussten?
    Plötzlich war ihm das

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