Der Kuss des Anubis
massive Pektorale auf seiner Brust
lästig, ebenso wie die Ringe, die seine Finger schmückten. Tutanchamun streifte die schwere Kette ab und legte sie auf das Tischchen neben dem Bett. Es war ein neues Stück, das er heute zum ersten Mal getragen hatte, meisterhaft gearbeitet aus feinem Gold und fünf Reihen verschiedenfarbiger Perlen aus Türkisen und Karneolen, das seitlich in zwei Falkenköpfe aus massivem Gold auslief.
Der Falke muss zum Himmel fliegen - da war er schon wieder, jener verfluchte Satz, der sich in seinem Herzen eingebrannt hatte!
Wer waren die wirklichen Drahtzieher? Wem würde sein Tod am meisten gelegen kommen?
Die Gedanken in seinem Kopf flogen wild durcheinander, während er seine Ringe nacheinander abzog.
Das Blut des Vaters, das in ihm floss, war Segen und Fluch zugleich. Er war der Sohn des großen Ketzers, wie die Leute Pharao Echnaton inzwischen ungeniert nannten.
Der einzige Sohn, der ihm jemals geboren worden war.
Allein dieser Tatsache verdankte er den Thron.Aber genau diese Tatsache war es auch, die ihn das Leben kosten konnte.
Tutanchamun trank einen Schluck Wein, dann legte er sich auf sein Bett mit den geschnitzten Löwenpfoten und schloss die Augen. Manchmal kam Ruhe über ihn, wenn er nur lang genug stillhielt, doch heute wollte nicht einmal dieser einfache Trick funktionieren.
Nach einer Weile erhob er sich wieder.
Die nachlässig abgelegten Schmuckstücke schimmerten im Licht der zahlreichen Öllampen.
Welch ein Schatz!, würde Bata respektvoll murmeln,
wenn er sie morgen wieder aufräumen musste. Das kostbare Fleisch der Götter, das wahrlich andere Behandlung verdiente. Er sah sich um, doch die vertraute Ebenholztruhe, in die sein Diener sonst das königliche Geschmeide nach dem Tragen einsortierte, konnte er nirgendwo entdecken.
Stattdessen fiel ihm ein neues Gefäß auf, das offensichtlich dem gleichen Zweck dienen sollte, ein mehrstöckiges Kästchen in Kartuschenform, aus rötlichem Holz gezimmert. Die Ränder wie auch der Deckel waren aus Elfenbein. Oben war sein Name eingeritzt, mit Onyx eingelassen. Drei geräumige Schubfächer befanden sich auf der Vorderseite.
Das oberste war leer, was ihn erstaunte. Aus dem Holz kam ein strenger Geruch, der eine längst vergessen geglaubte Saite in ihm anschlug. Tutanchamun wartete, bis er die nächste Schublade aufzog, langsam, mit einer Vorsicht, die ihn selber erstaunte.
Kaum stand sie einen Spaltbreit offen, hörte er ein Zischen, das ihn erstarren ließ. Doch seine Hände waren schneller gewesen als seine Erinnerung, denn nun schoss eine Schlange züngelnd empor.
Rötlicher Leib, schwarzer Schuppenkranz. Genau die Kobra, vor der Miu ihn so eindringlich gewarnt hatte!
Der Falke muss zum Himmel fliegen - plötzlich war es, als dröhnte der Satz überlaut in der Einsamkeit seines Gemachs. Er griff neben sich, packte den nächsten Gegenstand, der ihm in die Finger kam, ein schweres Salbgefäß aus Alabaster, das schon seit Ewigkeiten neben seinem Bett stand, und holte aus.
Die Kobra schien bereit zum Zustoßen, da traf sie die Wucht seines ersten Hiebes. Er hatte gut gezielt, und dennoch
lebte sie noch, was ihn überraschte. Zischend hob sie noch einmal den Kopf, um vieles langsamer allerdings, und er schlug erneut zu, wieder und wieder, so lange, bis sie sich nicht mehr bewegte.
Es war nicht einmal mehr nötig, noch mit dem Fuß nach ihr zu treten.
Die Kobra war tot.
Der Pharao sank auf sein Bett, den Kopf in den Händen vergraben. Für das zerschmetterte Reptil, das ihm den Tod hatte bringen sollen, hatte er keinen Blick mehr. Stattdessen bemühte er sich, den Sturm der Gefühle, der in ihm tobte, zum Schweigen zu bringen. Nichts fürchtete er mehr als den Todesbiss einer Kobra, die ihm die Mutter genommen hatte. Ausgerechnet darauf hatten die Attentäter gesetzt. Folglich mussten sie bestens instruiert sein, mussten viel zu viel über ihn wissen. Was bedeutete, dass sie über Informanten am Hof verfügten.
Allmählich wurde sein Atem ruhiger; die Hände zitterten nicht mehr. Nach einer Weile stand er auf. Seine Beine trugen ihn, er konnte die Arme wieder bewegen.
Er lebte.
Und er würde sie in die Knie zwingen, wer immer sie auch sein mochten, das schwor er sich in diesem Augenblick.
Langsam ging er nach draußen in den Garten, sog die Nachtluft tief in seine Lungen. Ein wunderbares, köstliches Gefühl, das er noch lange, lange genießen wollte.
Tutanchamun hob den Kopf, schnupperte.
Es schien auf
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