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Der Kuss des Anubis

Titel: Der Kuss des Anubis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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ein einziges Haar entsprossen.
    Es schaukelt und ruckelt. Sie greift ins Leere. Ihre Angst wächst mit jedem Schritt. Was, wenn sie schon im nächsten Augenblick nach unten stürzt und auf dem Boden aufschlägt?

    Ihr Blick fällt auf sein Profil, die kühne Nase, messerscharf und stark gekrümmt, ähnlich wie der Schnabel der gefährlichen Raubvögel, von denen Papa erst neulich erzählt hat …
     
    Munteres Getrappel auf ihrem Brustkorb. Wohliges Schnurren. Dann tippte etwas sanft auf ihre Nase.
    Miu schlug die Lider auf, Auge in Auge mit Keku, der sie gerade aus dem Albtraum erlöst hatte. »Der Dunkle«, so hatte sie Paus zweites Junges nach dem verpatzten Abend im Palast genannt, passend zu Jamu, »der Rote«.
    Mit einem Plopp sprang der kleine Kater herunter und begann, die Nase dicht am Boden, das Zimmer nach Essbarem zu durchstöbern. Noch keine Spur von Pau, die wieder hitzig war und jeden Abend verschwand und erst zum Schlafen zurückkehrte, wenn es schon hell wurde. Dementsprechend wuchs von Tag zu Tag die Schar liebeswütiger Kater, die jammernd um das Haus strichen.
    Miu hatte ihn wiedererkannt, den Mann mit dem Geierprofil!
    Kein anderer als er war es gewesen, der sie aus dem dunklen Zimmer gezerrt hatte, in das Papa sie gesperrt hatte, damals in der Sonnenstadt, als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war. Auch daran erinnerte sie sich plötzlich ganz genau. Kein Wunder, dass ihr bei seinem Anblick der Atem gestockt hatte! Denn mit diesem Mann verbanden sich für Miu schreckliche Erinnerungen.
    Doch wie war es damals weitergegangen?
    Da war das Johlen gewesen, das Schreien, ihre Angst und ein Gefühl grenzenloser Verlorenheit …
    In Miu wurde alles dunkel und kalt. Abrupt setzte sie sich auf.

    Keku schien das für ein spannendes neues Spiel zu halten, denn er kam sofort angerannt und sprang in ihre Arme. Sein weiches Fell zu streicheln, vertrieb nach und nach die Enge in ihrer Brust. Der Kater neckte sie mit kleinen Liebesbissen, die fester wurden, als sie seinen Bauch kraulte. Jetzt kamen auch noch seine spitzen Krallen ins Spiel, bis es Miu zu viel wurde und sie ihn wegjagte.
    Lächelnd schaute sie ihm nach, wie er hinausfegte, einer dicken Fliege hinterher, die er vermutlich niemals im Leben erwischen würde. Gut, dass er sie an ihr Versprechen erinnert hatte! Miu würde es wahr machen und dafür sorgen, dass Iset diesen anmutigen kleinen Gefährten bekam.
    Nach einem ausgiebigen Bad im Seerosenteich überkamen sie erneut Zweifel. Sollte sie nicht lieber zu Großmama gehen und ihr von dem heutigen Traum und ihrer damit verbundenen Erkenntnis erzählen? Sie war schon halb auf der Treppe, da hielt sie wieder inne.
    Oder doch eher mit Papa sprechen, der bestimmt mehr wusste als ihr Großmutter?
    Schließlich verwarf Miu beide Ideen. Sobald die Rede auf die Sonnenstadt kam, reagierten Großmutter und Vater ganz unterschiedlich. Raia geriet auf der Stelle ins Schwärmen, als handle es sich um ein verlorenes Paradies, während Ramose jedes Mal angestrengt das Thema wechselte. Nichts von dem hatte Miu bislang weitergebracht. Aber vielleicht ergab sich ja sehr bald die Möglichkeit, mit jemand anderem darüber zu sprechen, jemand, der früher auch in der Stadt des Ketzerkönigs Echnaton gelebt hatte und um einiges weniger befangen war - Sheribin.

    Isets Mutter schien nicht sonderlich überrascht, als Miu wenig später bei ihr auftauchte. Eine Schüssel Linsen auf dem Schoß, saß sie im Küchenhof und war damit beschäftigt, verdorbene Hülsenfrüchte herauszulesen. Sonnenlicht ließ ihr dunkles Haar glänzen, in dem erste Silberfäden aufleuchteten.
    Ein stilles, ungewohnt friedliches Bild.
    »Was bringst du mir denn da?«, fragte Sheribin, als sie den Korb erblickte, den Miu vor sich her trug.
    »Mein Geschenk für Iset.« Miu lüftete den Deckel. Der Kater schoss nicht heraus, wie sein rötlicher Bruder es sicherlich getan hätte, sondern sah sich erst einmal nach allen Seiten um, bevor er schließlich vorsichtig seine Pfoten auf den Tisch setzte. »Damit sie nicht immer so allein ist!«
    »Was soll das heißen? Mein Mädchen hat doch jetzt einen jungen, gesunden Ehemann an der Seite, der alles für sie tun würde!«
    Sie klang misstrauisch, sodass Miu jedes weitere Wort genau abwog.
    »Ich meine ja nur, dass ein bisschen Abwechslung doch gar nicht so schlecht wäre, solange Kenamun seine endlosen Schichten abarbeiten muss. Ich hab den Kleinen Keku genannt und hoffe, er wird ihr Spaß machen!« Der

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