Der Kuss des Anubis
ertragen.
»Ich wollte ohnehin gerade gehen!«, rief sie und sprang unvermittelt auf. Dabei stieß ihr Fuß an das nächste Polster, das dabei verrutschte und das kleine Gefäß freigab, das sie heimlich daruntergeschoben hatte.
Tutanchamun hatte nichts davon bemerkt, die Adleraugen der Schwangeren jedoch hatten es sofort entdeckt.
»Was haben wir denn hier?«
Mit aufreizender Ruhe bückte sich Anchesenamun und kam noch langsamer nach oben, nicht ohne dem Pharao einen ausgiebigen Blick auf ihre Brüste zu gewähren. Sie öffnete den Deckel, hielt die Nase hinein, schnüffelte.
»Diese entzückende Kleine will dich doch nicht etwa vergiften? Sollte ihr ganzes verwirrendes Gerede einzig und allein diesem hässlichen Zweck gedient haben?«
Tutanchamun war ebenfalls aufgestanden. Jamu, den Blick starr auf die hechelnden Hunde gerichtet, jagte davon und entkam durch die angelehnte Türe in die Freiheit.
»Miu?«, sagte der Pharao streng. »Was ist das? Ich erwarte eine Erklärung!«
»Dann frag am besten deine Königsamme!«, rief Miu.
Es war ihr peinlich, dass ihr kleines Geheimnis aufgeflogen war. »Das sind doch nur Pastillen für guten Atem - und Mayet höchstpersönlich hat sie mir aufgeschwatzt!«
Anchesenamun hüstelte diskret. Ein weicher Lichtkranz umgab ihr dunkles Haar, das glatt bis zu ihren kleinen Brüsten fiel. Mädchenhaft zart sah sie aus in ihrem schlichten weißen Kleid.
Und sehr, sehr schutzlos.
»Kommst du dann, Liebster?«, flüsterte sie. »Lass den Kleinen und mich nicht mehr allzu lange warten!«
Ein stummes Flehen lag in seinem Blick, als er sich Miu zuwandte, sie jedoch schaute zu Boden, fühlte sich enttäuscht und bloßgestellt zugleich.
»Ich lasse dich jetzt am besten nach Hause bringen«, sagte der Pharao leise.
Die geschliffenen Karneole in den Ohrhängern tanzten, als Miu den Kopf bewegte und die Bügel löste.
»Das allerdings hättest du längst schon tun sollen, mein König, du mögest leben, heil und gesund sein!«, erwiderte sie mit fester Stimme und drückte ihm den Schmuck in die Hand. »Oder mich besser erst gar nicht zu dir holen lassen!«
Warum Ramose ausgerechnet jetzt diesen abgelegenen Raum betreten hatte, hätte er selber nicht genau sagen können. Hier ruhten die fertig präparierten Leichen, nach allen Regeln der Kunst für die Ewigkeit zurechtgemacht: in Natron siebzig Tage gelagert, mit Ausnahme des Herzens aller Eingeweide entledigt, gewaschen mit Palmwein
und duftenden Essenzen, mit Salböl übergossen, ausgestopft mit Leinenbeutelchen und Sägespänen, um das während der langwierigen Prozedur verloren gegangene Volumen wiederherzustellen.
Darauf legte er am meisten Wert: Echt mussten sie aussehen. Nicht wie lebendig, das war trotz aller Mühe nicht mehr hinzubekommen, aber immerhin ansprechend, ästhetisch und einigermaßen menschlich.
Natürlich kam es dabei auf den Preis an.
Augäpfel beispielsweise, die durch den Wasserentzug im Natronbad stark schrumpften, konnten durch Küchenzwiebeln, Leinenbäusche oder bauchig geschliffene Halbedelsteine wie Türkis und Karneol ersetzt werden. Wichtige Körperteile schützte man mit entsprechend geformten Silber- und Goldplättchen. Das konnte die Zunge ebenso betreffen wie Finger und Zehen, über die getriebene Metallhülsen gesteckt wurden.
Drei solcher hochklassig ausgestatteten Mumien ruhten also hier. In zwei Tagen sollten sie feierlich bestattet werden. Noch hatten die Angehörigen nicht die ganze vereinbarte Summe bezahlt, aber die noch ausstehenden Beträge würden sie gewiss bei Übergabe der präparierten Leichname zahlen, denn für seine konstante Qualität war der erste Balsamierer von Waset allerorts bekannt.
Doch welcher Anblick bot sich Ramose, als er den Raum betreten hatte! Nichts als Scherben, dazu ein widerlicher Geruch, schwerer zu ertragen als die allerschlimmsten Leichenausdünstungen. Beinahe wäre er ohnmächtig zu Boden gesunken, doch er fasste sich, packte ein Tuch und hielt es sich entsetzt vor Mund und Nase, während er sich vom ganzen Ausmaß der Katastrophe überzeugte.
Die Mumien waren verschandelt.
Besudelt.
Entweiht.
Wer auch immer dieses Verbrechen begangen hatte, er hatte ganze Arbeit geleistet. Es würde Tage dauern, die Leichname wieder in einen einigermaßen annehmbaren Zustand zu versetzen.
Zeit, die Ramose nicht hatte, ohne den Angehörigen zu gestehen, dass ihre Toten entweiht worden waren, hier im Reich des Anubis, als dessen legitimer Stellvertreter er
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