Der Kuss des Anubis
Kenamun betrifft. Ani hat dir nicht zufällig davon erzählt?«
Miu zuckte die Schultern.
Ihr letztes Gespräch mit Ani hatte sich um den Mann mit dem Geierprofil gedreht. Natürlich hätte sie der Freundin am liebsten davon berichtet. Aber wäre das wirklich klug gewesen? Besser, sie erwähnte nicht einmal den Abend im Palast und das vergiftete Entenfleisch, das ihr beinahe zum Verhängnis geworden wäre. Bis die Schuldigen nicht gefasst waren, hielt sie lieber den Mund.
»Eure Probleme haben sich immer noch nicht gelöst?«, sagte sie stattdessen. »Ich hatte es so sehr gehofft!«
Isets runde Augen schauten bekümmert drein.
»Es ist sogar schlimmer denn je«, stieß sie hervor. »Kenamun ist nur noch mürrisch und gehetzt, wie getrieben von einem dunklen Dämon, der in ihn gefahren ist. Du würdest ihn kaum wiedererkennen, Miu! Dünn wie eine Binse ist er geworden. Ständig muss ich seinen Schurz abändern, damit er ihn nicht noch unterwegs verliert. Im Schlaf zuckt er mit allen Gliedmaßen - und er redet.«
»Was sagt er denn? Hast du ihn verstanden?«
»Lauter wirres Zeug, wenn du mich fragst … Keine Ahnung, was das zu bedeuten hat.« Sie schlug die Hände vors Gesicht. »Womit hab ich das nur verdient? Es sollte doch die glücklichste Zeit meines Lebens sein - und ich bin dauernd am Flennen!«
Miu strich ihr sanft über den Rücken.
»Was war es denn, worum du Ani gebeten hast?«, sagte sie. »Magst du es mir erzählen?«
»Dass er mal mit Kenamun redet!«, antwortete Iset. »Von Mann zu Mann. Vielleicht vertraut mein armer Liebster ja Ani an, was wirklich mit ihm los ist, wenn er mir schon nichts verraten will. Aber bislang ist es wohl noch nicht dazu gekommen.«
»Ani hält, was er verspricht«, versicherte Miu. »Auch wenn er seine ganz eigene Zeiteinteilung hat. So war er schon früher, als wir beide noch klein waren. Einmal wollte er mir eine Barke für meine Lieblingspuppe bauen. Einen ganzen Sommer lang hab ich vergeblich darauf gewartet und war ihm schon böse, weil ich dachte, er hätte mich vergessen. Und dann eines Tages stand die Barke plötzlich vor der Tür, so schön und stabil, wie ich sie mir nicht mal im Traum ausgemalt hätte!«
»Du solltest ihn heiraten«, sagte Iset unvermittelt. »Er würde gut zu dir passen. Ich bin sicher, Ani würde nicht Nein sagen.«
»Ani?« Miu lachte. »Ich glaube, da täuschst du dich gewaltig. Für ihn bin ich bloß eine kleine Verwandte, nichts weiter.«
Sie lachte zwar, aber wenn sie ehrlich war, dann gab es da durchaus eine Art Hingezogenheit zwischen Ani und ihr, die sich keineswegs nach Verwandtschaft oder bloßer Freundschaft anfühlte.
»Du irrst dich«, widersprach Iset, als hätte sie gerade in Mius Gedanken gelesen. »Ani empfindet sehr viel für dich…«
»Ich heirate niemanden.« Miu war aufgesprungen und bis zu den Knien in den Teich gewatet. »Zumindest nicht in nächster Zeit. Und hört endlich alle auf, mir die Ohren damit vollzuschwatzen! Man könnte ja fast schon glauben, ihr wolltet mich so schnell wie möglich loswerden.«
»Sagst du das jetzt, weil du noch immer in den Pharao verliebt bist?«, hörte sie Iset flüstern. »Das bist du doch, oder?«
»Woher willst du das wissen? Ich bin nicht verliebt - in gar niemanden!«
»Miu!« Das war Anukets spröde Stimme. »Kommst du? Essen ist bald fertig.«
Was sollte sie tun? Die Freundin nicht zum Bleiben aufzufordern, verletzte alle Regeln der Gastfreundschaft; andererseits wollte sie keinen neuerlichen Streit mit Papa riskieren.
»Ich muss ohnehin los!« Iset sprang auf und griff nach ihrem Korb. »Höchste Zeit, dass ich nach Hause komme. Keku erwartet mich bestimmt schon. Wenigstens ein Mann, der es vor Sehnsucht nach mir kaum aushält!«
Erleichtert watete Miu aus dem Wasser. Wenn es ihr jetzt noch gelänge, Iset unbemerkt aus dem Garten zu bringen, ohne dass Anuket sofort wieder …
»Was hast du eigentlich in deinem Korb?«, fragte sie, während sie gemeinsam zum Tor gingen.
Iset griff hinein und zog eines der Figürchen heraus. Es stellte den Gott Bes dar.
»Behalt ihn, wenn du magst!«, sagte Iset. »Ich konnte heute nicht alles verkaufen, weil die Leute anfangen, ihre Deben immer sparsamer zusammenzuhalten. Dabei ist der Gott Bes gut für jeden Haushalt - in vielerlei Hinsicht.«
Sie blieb plötzlich stehen.
»Man wartet mit dem Essen auf dich. Lauf nur schon los«, sagte sie. »Ich find den Weg hinaus auch allein.«
»Aber ich kann dich doch
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