Der Kuss des Anubis
stets schlechte Ratgeber, wie
Ramose eigentlich wusste -, in einer Situation, als er sich bedrängt und hilflos gefühlt hatte. Der Anblick der zerstörten Mumien war ihm bis ins Mark gekrochen. Wenn nur einer seiner Kunden davon Wind bekommen hätte, wäre er erledigt gewesen. Allein deshalb war er auf Ipis Vorschlag überhaupt eingegangen. Doch gebracht hatten dessen großspurig angekündigte Nachforschungen bislang nichts.
Ein Umstand, den er sich nun zunutze machen wollte.
»Hast du noch einmal mit unseren Arbeitern geredet?«, fragte er unvermittelt.
Ipi nickte.
»Und? Noch immer kein Geständnis? Diese übel zugerichteten Mumien wieder einigermaßen intakt aussehen zu lassen, hat mich ein kleines Vermögen gekostet.«
»Sie leugnen, was das Zeug hält, diese Bastarde!«, rief Ipi. »Aber ich habe ehrlich gesagt nichts anderes erwartet. Du musst ihnen schon mit Entlassung drohen und Schlimmerem, sonst werden sie niemals das Maul aufmachen. Wenn du willst, kann ich gerne noch einmal …«
»Bemüh dich nicht!«, sagte Ramose scharf. »Wir sind mit Aufträgen noch reichlich eingedeckt. Und meine Leute wissen, was sie zu tun haben. Mit angelernten Hilfskräften wäre das niemals zu bewältigen. Ich werde meine eigenen Methoden anwenden, um ihre Zungen zu lockern - falls es überhaupt einer von ihnen war, der den Schaden verursacht hat.« Er ließ sich wieder auf seinen Hocker fallen. »Und jetzt lass mich allein. Ich habe zu tun.«
Ipi stand da, als hätte er Wurzeln geschlagen, stumm und aufsässig.
Regelrechte Krokodilsaugen hast du, dachte Ramose, der ihn ansehen musste, obwohl der Anblick ihn erschauern
ließ. Träge und verschlagen! Wieso fällt mir das eigentlich erst heute auf?
»Ich muss dir nicht mehr beweisen, dass ich Geduld besitze, Meister«, sagte Ipi schließlich. »Denn schließlich kennst du mich und meine Fähigkeiten seit vielen Jahren. Ich bitte dich nur, den Bogen nicht zu überspannen. Sonst könnte ich sehr, sehr traurig werden. Was dir, wie ich fürchte, nicht gefallen würde. Und deiner schönen Tochter noch weniger.«
Er schlurfte hinaus und ließ Ramose mit dem schalen Gefühl zurück, trotz allem der Verlierer zu sein.
Miu war überrascht, als plötzlich Iset vor der Tür stand.
»Ich musste kommen«, sagte sie lächelnd. »Um mich bei dir persönlich für Keku zu bedanken, den ich schon so lieb gewonnen habe, als lebte er seit Jahren bei mir! Heute war ich auf dem Markt, und da dachte ich …« Sie strich ihr Haar zurück. »Oder störe ich gerade?«
»Herein mit dir!«, sagte Miu. Papa war in der Werkstatt, das traf sich schon mal gut. Aber wahrscheinlich würde Anuket bald von ihren Einkäufen zurück sein, danach mit dem Kochen beginnen, bei jedem Wort ihre neugierigen Ohren spitzen und ihm anschließend alles haarklein hinterbringen. »Lass uns am besten in den Garten gehen«, schlug sie deshalb vor. »Vielleicht magst du dich ja im Teich erfrischen.«
»Gerne.« Isets Blick bekam etwas Suchendes. »Und was zu essen bräuchte ich auch. Ganz dringend sogar. Ich sterbe fast vor Hunger!«
Miu sah sich nach ein paar Resten um und richtete sie so gut wie möglich auf einem Teller an. Es war nur ein wenig gebratenes Rindfleisch, außerdem ein paar Datteln und Feigen und Anukets berühmtes Fladenbrot, aber Iset schien es bestens zu schmecken, jedenfalls hatte sie alles in Windeseile verschlungen.
Sie trank den letzten Schluck Dattelbier, lehnte sich zurück und strich über ihren Bauch.
»War das gut!«, sagte sie. »Ich fühle mich wie neugeboren.«
Wind spielte in ihren schulterlangen Haaren, ihre Wangen waren voll und leicht gerötet. Sie schien etwas fülliger geworden zu sein, was ihr gut stand, und verströmte eine Zufriedenheit, wie Miu sie noch nie zuvor an ihrer Freundin gesehen hatte.
Plötzlich begriff sie.
»Du bist schwanger?«, rief sie. »Du bekommst ein Kind. Deshalb bist du hier!«
»Und ich dachte schon, du würdest mich niemals fragen«, sagte Iset lächelnd. »Sieht man es mir schon an? Ich hab es erst ganz wenigen Leuten gesagt. Meiner Mutter und meinen Schwiegereltern, Ani, Kenamun …«
»Ani?«, sagte Miu. »Ich wusste gar nicht, dass ihr beiden euch so nahe seid.«
»Er war neulich bei uns, im Wüstendorf. Mir war plötzlich schwindelig geworden, und da hat er mir geholfen, die schweren Einkäufe nach Hause zu tragen.« Sie schien plötzlich zu zögern. »Ich hab ihn bei dieser Gelegenheit um einen Gefallen gebeten. Etwas Wichtiges, das
Weitere Kostenlose Bücher