Der Kuss des Anubis
geworfen. » Mein Gatte ist tot - ich verstehe! Jetzt machen diese beiden Anschläge auf mein Leben endlich Sinn.«
Eje bückte sich, hob den Brief wieder auf und glättete ihn.
»Ein so entscheidendes Beweisstück muss in unseren Händen bleiben«, sagte er. »Und sorgfältig archiviert werden. Zudem bin ich mir in der Schuldfrage bei Weitem nicht so sicher wie du, Einzig-Einer. Mein Gatte ist tot und ich habe keinen Sohn , so steht es da geschrieben. Anchesenamun aber ist schwanger. In wenigen Monaten wird sie euer Kind zur Welt bringen, das sie mit allergrößter Freude erwartet. Verrate mir bitte, wie das zusammenpassen soll! Außerdem ist sie nicht ohne Familie, wie es in dem Brief heißt. Schließlich bin ich ihr leiblicher Großvater.«
»Wenn es nicht Hochverrat ist, was ist es dann?« Tutanchamun klang plötzlich unsicher.
»Es ist Hochverrat, Einzig-Einer!«, rief Eje bewegt. »Die Frage ist lediglich, wer dazu bereit wäre, ihn zu begehen. Meiner Ansicht nach kann er oder sie nicht sonderlich klug sein. Denn alle Welt weiß, dass du seit nunmehr beinahe neun Jahren der Pharao Kemets bist, ein junger, kerngesunder Mann …«
»Was sich allerdings sehr schnell hätte ändern können, wenn ich auch nur einen Bissen von dem vergifteten Fleisch genommen hätte!«, fiel Tutanchamun ihm ins Wort. »Vielleicht ist dieses Schreiben ja bereits zuvor abgefasst worden. Als der oder die Mörder noch damit rechnen konnten, ihr hinterlistiges Vorhaben würde gelingen. Außerdem müssen wir davon ausgehen, dass es mehrere Abschriften gibt. Wer so etwas plant, verlässt sich in der Regel nicht auf ein einziges Schriftstück, das abgefangen werden könnte, wie es ja auch geschehen ist.«
»Möglich.« Eje wiegte seinen kantigen Kopf. Wind war aufgekommen und brachte Bewegung in die Bäume. Zweige rieben aneinander, Blätter raschelten, als ob der ganze Garten sich ebenfalls zu einer Antwort rüste. »Möglich aber auch, dass dieser Brief einzig und allein aus einem Grund geschrieben wurde: um Zwietracht zu säen zwischen dir und der Königlichen Gemahlin. Hast du das schon in Erwägung gezogen?«
»Wer sollte daran Interesse haben?«
»Du kennst die Antwort, Goldhorus.« Eje verneigte sich leicht. »Doch wenn du sie lieber aus meinem Mund hören möchtest, bin ich gern dazu bereit.«
»Du meinst, der General hat seine ehrgeizigen Pläne noch immer nicht aufgegeben?«
»Nicht solange der Hapi den Durst der Wüste löscht!«,
erwiderte Eje. »Haremhab träumt davon, Pharao zu werden, und er tut es schon sehr lange. Bevor du den Thron bestiegen hast, schien die Erfüllung seines Traum zum Greifen nah. Jetzt aber ist sie für ihn weiter entfernt als der Mond, denn in dir fließt das Blut von Königen. Du bist jung und stark und wirst noch viele Jahre regieren - und nach dir werden deine Söhne das Amt übernehmen. Würde es sich da aus seiner Sicht nicht lohnen, einen Versuch zumindest zu wagen?«
»Haremhab ist ein Niemand!«, rief Tutanchamun zornentbrannt. »Ich könnte ihn jederzeit ersetzen lassen durch andere, weitaus fähigere Männer. Und genau das werde ich auch tun!«
»Als Militär war er dir durchaus nützlich und ebenso dem Land Kemet. Warum ihn also nicht zunächst in deiner Nähe behalten, um alles über seine heimlichen Pläne herauszufinden? Anschließend könnte man ihn in schwieriger Mission an die entlegensten Grenzen des Reiches schicken, wenn ich dir diesen Vorschlag unterbreiten darf. Möglicherweise erledigt sich das Problem Haremhab damit von alleine.«
Eine Weile blieb der Pharao stumm.
»Und Anchesenamun?«, sagte er schließlich und drehte seine Armspange, die ein springender Löwe aus Karneol zierte. »Wie soll ich in Frieden leben, wenn ich niemandem mehr trauen kann, nicht einmal meiner eigenen Frau?«
»Mir kannst du trauen«, rief Eje. »Bis zu meinem allerletzten Atemzug. Das schwöre ich dir bei Amun!«
Der Pharao schien zu nicken, was Eje ermutigte fortzufahren: »Als Erstes muss die kalte Luft des Verrats aus dem Palast weichen. Ich werde meine Enkelin persönlich ins
Gebet nehmen. Und das solltest du ebenso tun, Goldhorus. Erst danach ist es an der Zeit, eine Entscheidung zu fällen, die klug und äußerst besonnen ausfallen sollte.«
»Manchmal möchte ich am liebsten wieder der Junge von damals sein«, hörte er den Pharao murmeln. »Der zwar oft einsam war, dafür aber glücklich, wenn er unter all den schönen Frauen im Harim mit seiner roten Katze spielen konnte.
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