Der Kuss des Anubis
Diese unbeschwerten Tage werden niemals wiederkehren!«
Er sah so verlassen dabei aus, dass es Eje das Herz zusammenschnürte. Doch er konnte im Moment nichts für ihn tun, für diesen einsamen jungen Mann, den er in all den schwierigen Jahren so lieb gewonnen hatte wie einen eigenen Sohn.
Er kam, als sie mit seinem Auftauchen nicht mehr rechneten, trat aus dem Schatten der Nacht, eine Fackel in der Hand, gehüllt in einen dunkel gefärbten, lumpigen Umhang, in dem ihn keiner der beiden jemals vermutet hätte.
»Alles in Ordnung?« Userkafs Stimme war rau.
»Keinerlei ungewöhnliche Vorfälle, Herr.« Vorsorglich hatte Imeni einen unterwürfigen Tonfall angenommen, während er sich noch eben lauthals über Userkafs unmenschliche Schikanen ausgelassen hatte. Seinem erst halb geleerten Krug mit Dattelbier versetzte er einen entschiedenen Tritt, der ihn in die Dunkelheit befördern sollte.
»Und bei dir, Ani?«
»Kann mich Imeni nur anschließen«, sagte Ani und versuchte, das kleine Amulett zurück in seinen Schurz zu
schieben. »Nichts Auffälliges. Leider waren die Nachtwachen bislang ergebnislos.«
Doch Userkafs Adleraugen waren schneller gewesen.
»Und was ist das hier?« Er fasste beherzt zu, wog den Gegenstand zunächst in seiner Hand und hielt ihn dann erst an das flackernde Licht.
Das Amulett war knapp fingerlang. Der Untergrund bestand aus rötlichem Gold, auf den man türkisfarbene Fayence aufgebracht hatte. Eigentlich waren es nicht viel mehr als ein paar Umrisslinien - und doch erkannte man sofort, was sie darstellen sollten: den Totengott Anubis, mit spitzer Schnauze und aufgestellten Ohren.
»Woher hast du das?«, zischte Userkaf. »Solche Amulette wickelt man in die allerunterste Mumienschicht - und zwar nur bei denen, die es sich leisten können!«
»Ich wollte es dir ohnehin zeigen«, beeilte sich Ani zu versichern. »Ich hab mich nämlich auf die Lauer gelegt, tagsüber, und bin tatsächlich fündig geworden.«
»Was soll das heißen?«
»Wie es aussieht, ist uns dabei ein äußerst interessanter Informant ins Netz gegangen. Es gibt tatsächlich eine Bande von Grabräubern, wie wir vermutet haben, die bereits einiges erbeutet hat und offenbar weitermachen will, bis die Königsgräber vollkommen geleert sind«, sagte Ani.
»Werd endlich genauer!«, verlangte Userkaf.
»Einiges hat er schon ausgesagt und mit ein wenig Nachhilfe wird er alles auspacken. Dann haben wir sie: die Grabräuber und den Drahtzieher im Hintergrund gleich mit dazu!«
»Er hat also bislang nicht alles gesagt, was er weiß?«, fragte Userkaf mit seltsamem Unterton. »Und was hat es
mit diesem geheimnisvollen ›Drahtzieher‹ auf sich, den er ins Spiel gebracht hat?«
»Er packt noch aus, dafür lege ich meine Hand ins Feuer. Dieser ›Drahtzieher‹ scheint jemand zu sein, vor dem er große Angst hat. Womöglich eine einflussreiche Persönlichkeit …«
»Hände sind schnell verbrannt!« Userkaf sprach auf einmal doppelt so schnell wie bisher. »Namen, Ani! Fakten, Daten! Du bringst mich zur Verzweiflung. Hast du denn alles vergessen, was ich dir so mühsam beigebracht habe?«
»Nur noch ein wenig Geduld!«, bat Ani. »Mein Informant wird reden. Ich bin mir ganz sicher!«
» Dein Informant!« Userkafs Spott klang beißend. »Wenn ich das schon höre! Willst du mir vielleicht erklären, wie man gute Polizeiarbeit macht? Alles, was du bislang vorgebracht hast, ist doch nichts als heiße Luft. Ein Windstoß - und du stehst mit leeren Händen da!« Er schnappte nach Luft. »Den Namen!«
»Den kann ich dir nicht sagen - noch nicht. Das hab ich ihm zugesagt.«
»Einem Mitwisser? Einem Schurken? Hast du jetzt völlig den Verstand verloren? Oder steckst du in der Sache etwa mit drin?« Userkaf war einen Schritt zurückgetreten und musterte ihn argwöhnisch. »Weißt du, wie sehr du mich enttäuscht hast? Ich hab dir eine echte Chance gegeben - und jetzt das!«
»Aber ich hab doch alles getan, um …«
»Schweig!«, donnerte Userkaf. »Denn jetzt wirst du dir mal anhören, wie die Sache für mich aussieht! Über endlose Wochen langweilst du mich Morgen für Morgen mit Nichtigkeiten, bis ich eines Nachts beschließe, mich
mit eigenen Augen zu vergewissern, was eigentlich los ist. Kaum tauche ich auf, willst du ein kostbares Beweisstück verschwinden lassen, von dem unklar ist, wie es eigentlich in deinen Besitz gekommen ist, während dein Kollege nebenbei seine Trunkenheit zu verbergen sucht. Als Erklärung
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