Der Kuss des Anubis
einziges Mal meine Gunst …« Er schüttelte den Kopf.
»Ich dagegen möchte jetzt am liebsten nach Hause. Können wir fahren, mein König?«
»Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du nicht mehr in den Graureiher kommen sollst!«, rief Nefer aufgebracht, kaum dass Ipi die Schenke betreten hatte.
»Das hat sich schon mal ganz anders angehört, alter Freund!«, sagte Ipi. »Damals, als du noch nicht hattest, was dein Herz so heiß begehrt hat.« Er ließ sich auf eine Bank fallen, angelte nach dem Weinkrug und trank ungeniert. »Und, hat das Amulett dir gebracht, was du dir davon erwartet hast?«
»Das weißt du Hundsfott doch selber am allerbesten!«, schrie Nefer, bevor er daran dachte, seine Stimme wieder zu senken. »Du hast mir den Herzskarabäus besorgt - das ja. Und dich selber dabei nach Kräften bereichert. Doch alles, was danach geschehen ist, wollte ich niemals! Ramose sollte Angst bekommen und anfangen nachzudenken, aber doch nicht …«
»Hier - ich hab dir etwas mitgebracht!«, unterbrach Ipi ihn und schob einen kleinen Gegenstand quer über den Tisch. »Manche Dinge lassen sich eben nicht ungeschehen machen. Ich hab ein wenig nachgeholfen, nicht mehr und nicht weniger. Du solltest mir eigentlich dankbar sein!«
»Behalt dein Raubgut!« Nefer schob das kostbare Figürchen wieder zurück. »Daran war mir niemals gelegen.«
»Ach, der feine Herr will auf einmal nichts mehr mit allem zu tun haben? Aber du steckst mit drin, Nefer, und zwar ganz schön tief, vergiss das nicht!«
»Und du hast dich ungefragt in meine Belange eingemischt!« In seiner Entrüstung hatte sich Nefer über ihn gebeugt, wich jedoch vor der unangenehmen Ausdünstung des anderen schnell wieder zurück. »Dabei hast du alles maßlos übertrieben. Vernichtest seine Duftvorräte, verwüstest sogar Mumien - und Ramose weiß nicht mehr ein noch aus. So wird er niemals daraufkommen, was ich von ihm verlange!«
Ipi hatte sich langsam erhoben.
»Du wirst jetzt doch keine Dummheiten machen?«, sagte er drohend. »Oder hat sie dich auch schon halb um den Verstand gebracht, die tote Frau des Balsamierers, die plötzlich wieder äußerst lebendig ist und sich in alles einmischen will?«
Nefer schüttelte den Kopf. »Ich habe Sadeh noch nicht einmal gesehen. Taheb war bei ihr, die beiden mögen sich sehr.«
»Weiber wie sie kenne ich nur zu gut«, erwiderte Ipi. »Die erwarten, dass alle nach ihrer Pfeife tanzen. Doch wenn etwas passiert, was sie aus der Bahn wirft, werden sie plötzlich ganz klein. So musst du es anstellen, Schreiber, wenn du etwas erreichen willst - und nicht einfach kuschen!«
»Geh jetzt!« Nefer klang erschöpft. »Und du solltest mich nicht Schreiber nennen, wie oft hab ich dir das schon gesagt? Ich hab im Moment ganz andere Sorgen. Unser
Junge ist nicht nach Hause gekommen, schon seit Tagen nicht …« Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, als könnte er seinen Kummer damit wegwischen.
»Ani wird sich wohl rumtreiben, wie alle in seinem Alter! Ein heißes Weib hat ihn in den Fängen, wetten? Ein junger Polizist ist eben auch nur ein ganz normaler Mann!«
»Hau endlich ab!«
»Schon gut, schon gut!« Ipi ging langsam zur Tür. »Ich hab jedenfalls nicht vor, mich auf ewig in Geduld zu üben. Entweder Ramose und seine störrischen Weiber parieren - oder …«
»Oder was?« Nefer war plötzlich hellwach.
»Oder sie werden erleben müssen, wie Himmel und Erde die Plätze tauschen«, sagte Ipi und grinste breit.
Sie hatte schon geschlafen, als ein Geräusch sie plötzlich weckte. Anchesenamun fuhr hoch, und dabei umschloss ihre Hand den Dolch, der immer unter ihrer Kopfstütze lag.
»Was für eine reizende Begrüßung!« Tutanchamun entwand ihr die Waffe so geschickt, wie man einem Kind etwas Gefährliches aus der Hand nimmt, damit es sich nicht verletzen kann.
Wieso hatten die Hunde nicht angeschlagen?
Unwillkürlich presste sie die leichte Decke schützend gegen ihren Bauch.
»Du fragst dich sicherlich, weshalb deine Lieblinge mich einfach so hereingelassen haben.« Er klang spöttisch. »Weil
sie bestechlich sind, so wie die meisten Lebewesen. Ein wenig krosses Antilopenfleisch - und schon hatte ich sie auf meiner Seite!«
Die Große Königliche Gemahlin schlief niemals im Dunkeln. Überall im Raum verteilte Öllampen zeigten ihr einen jugendlichen König, den die Sonne heute offenbar besonders stürmisch geküsst hatte. Seine Nase war gerötet; Stirn und Wangen ebenso.
Er hatte wieder einen
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