Der Kuss Des Daemons
jetzt wich sie erneut dem Schmerz. Einen Moment starrte er noch auf die verkrümmte Leiche, ehe er sich abwandte und die Gasse verließ. Es war gegen das Gesetz, sie einfach liegen zu lassen. Aber er hatte schon so viele gebrochen, dass es keine Rolle mehr spielte. Erst an der nächsten Kreuzung blieb er stehen, legte den Kopf in den Nacken und starrte in den Nachthimmel. Ein leichter Nieselregen hatte eingesetzt. Die kühle Nässe half ihm sich zu beruhigen. Langsam atmete er aus. In seiner Wut hatte er nicht mehr an den Auftrag der Fürsten gedacht. Im Stillen verfluchte er sich selbst. Wenn er sich nicht beherrschte, würde er die Ehre seiner Familie noch weiter besudeln. Er lächelte bitter. Aber das hatte er ja schon immer getan. Und was die Ehre der Familie anging ... Das Lächeln verblasste. Mit jedem Tag, den seine erfolglose Suche nun schon dauerte, wurde seine Angst größer, dass es seine Familie nicht mehr gab. Mit einem brüsken Kopfschütteln verbannte er den Gedanken. »Wer die Hoffnung aufgibt, gibt das Leben auf«, sagte man. Er hatte nichts dergleichen vor.
Eine scharfe Böe trieb ihm einen Schwall kalte Tropfen ins Gesicht. Der Regen war stärker geworden und nahm mit jeder Sekunde an Kraft zu. Die Nacht versprach äußerst ungemütlich zu werden. Er biss die Zähne zusammen, während er den Kragen seiner Jacke hochschlug. Die, von denen er vielleicht noch einen Hinweis bekommen könnte, würden sich ebenso wie jeder andere einen trockenen und warmen Platz suchen, um den Regen abzuwarten. Unter solchen Bedingungen wäre jede weitere Stunde auf den Straßen vergeudete Zeit - und ausgerechnet die lief ihm davon, wie er fürchtete. Frustriert und zornig zugleich löste er sich aus dem dürftigen Schutz der Hauswand, vor der er stand, und eilte die wenigen Blocks weit Richtung Stadtrand, wo er seinen Wagen in einer ruhigen Nebenstraße geparkt hatte. Er stieg in die schwarze Corvette Sting Ray, fuhr zu seinem derzeitigen Domizil zurück, stellte sie in den Schuppen, den er zur Garage zweckentfremdet hatte, schloss ihn sorgfältig ab und ging zu dem alten Haus hinüber. Lautlos öffnete er die Tür, blieb aber direkt hinter ihr stehen und lauschte angespannt. Nein, niemand war hier. Ohne Licht zu machen, durchquerte er die Küche und betrat die leere Speisekammer dahinter. Die Bohlen knarrten unter seinen Füßen. Von dort stieg er die Treppen in den Keller zu seinem Schlafplatz hinab. Aus reiner Gewohnheit legte er den schweren Balken vor, dann lehnte er sich gegen die Tür und starrte in die Dunkelheit. Links von ihm huschte eine Maus davon und verschwand in ihrem Loch. Ein paar Sekunden verharrte er reglos, dann stieß er sich von dem Holz in seinem Rücken ab und durchquerte den Raum, in dem es nichts anderes gab als einen Stuhl, eine altmodische Holzkiste, eine Matratze und die wenigen Habseligkeiten, die er in einem abgegriffenen Seesack mitgebracht hatte. Er glitt aus den Sachen, die ihm nicht gehörten, legte sie ordentlich zusammen und schlüpfte in seine eigenen. Sie hatten dieses Spiel unzählige Male gespielt, aber niemals hätte er erwartet, es irgendwann einmal unter solchen Vorzeichen zu spielen.
Seine Schultern sanken herab. Mit beiden Händen fuhr er sich übers Gesicht und schlurfte zu der Matratze in der Ecke hinüber, wo er sich auf die zerwühlten Decken fallen ließ. Mehrere Minuten hockte er mit angezogenen Knien da und starrte auf den alten, rissigen Holzboden zwischen seinen büßen, ehe er sich zurücklegte. Das Gesicht zur Wand gedreht schloss er die Augen und wartete auf den dumpfen Schlaf, der keine Träume mehr für ihn bereithielt.
Geiger in der Nacht
In der Schule wurde ich am nächsten Tag noch vor meiner ersten Stunde von Neal und Tyler abgefangen. Sie hatten sich Sorgen gemacht, als ich nicht auf Neals Anrufe reagiert hatte. Es war ein Fehler gewesen, ihn einfach wegzudrücken, das sah ich jetzt ein. Wäre ich rangegangen, hätte er vielleicht nicht so stur darauf beharrt, zu erfahren, was gestern Abend geschehen war, und vor allem, was mit mir los war. Dass ich nicht die beste Laune hatte, konnte niemandem entgehen. Sie ließen mir keine andere Wahl, als ihnen zu erzählen, dass DuCraine mich auf dem Peak hatte stehen lassen. Damit beging ich den nächsten Fehler, denn von diesem Augenblick an herrschte Krieg zwischen Neal, Tyler, Ron und Mike und DuCraine. Es begann damit, dass sie ihn zur Rede stellten - Dummköpfe! Wer hatte sie zu weißen Rittern geschlagen
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