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Der Kuss Des Daemons

Der Kuss Des Daemons

Titel: Der Kuss Des Daemons Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Raven
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immer - näher zu kommen, als ich unbedingt musste.
    Mit vor der Brust verschränkten Armen, die langen Beine unter dem Tisch ausgestreckt lehnte DuCraine sich auf seinem Platz zurück. Er fixierte irgendeinen Punkt hinter Mr Barrings und verfiel in vollkommene Reglosigkeit. Alles an seiner Haltung sagte: »Ich bin nur hier, weil ich hier sein muss. Also lasst mich bloß in Ruhe.«
    Es gab nichts, was ich lieber tat.
    Zu Anfang des Schuljahres hatten wir mit »Das Bildnis des Dorian Gray« von Oskar Wilde begonnen. Entweder wusste DuCraine nichts davon oder er hatte seine Ausgabe vergessen - oder er hatte sich das Buch schlicht nicht besorgt. Bei der Einstellung bezüglich Schule, die er neben mir demonstrierte, war auch das gut möglich. Mr Barrings ließ uns immer wieder Textpassagen aus dem Roman vorlesen, die wir dann besprachen. Schließlich war auch DuCraine an der Reihe. Ich schob meine Ausgabe ein Stück weiter in die Mitte des Tisches, damit er hineinschauen konnte - ungefähr so vorsichtig, wie man einem Raubtier mit der bloßen Hand einen Brocken Fleisch zwischen den Gitterstäben eines Käfigs hinhält. Zischend stieß er den Atem durch die Zähne aus. Dann setzte er sich langsam und steif gerade hin und lehnte sich vielleicht einen Zentimeter weiter in meine Richtung. Seine Hände blieben unter dem Tisch und ich konnte sehen, dass er sie auf den Oberschenkeln zu Fäusten geballt hatte.
    Er las ruhig und deutlich. Beim Klang seiner Stimme rann mir ein Kribbeln über den Nacken und ich musste mich zwingen still zu sitzen. Das Umblättern überließ er mir. Beim ersten Mal hätte ich fast meinen Einsatz verpasst - was keiner bemerkte, da ihm alle vollkommen gebannt lauschten. Mir fiel erst in diesem Moment auf, dass er mit einem kaum hörbaren weichen Dialekt sprach, der ein wenig deutlicher hervortrat, je länger er las. Als Mr Barrings schließlich aus seiner Erstarrung erwachte und ihm sagte, dass es genug sei, sank DuCraine in seine alte Haltung zurück. Seine Miene wurde wieder gleichgültig und abweisend, aber ich glaubte, ihn mir den Zähnen knirschen zu hören.
    Am Ende der Stunde bat Mr Barrings uns alle noch einen Augenblick zu bleiben.
    »Wie ihr wisst«, begann er, »wird nächsten Monat der Halloween-Ball veranstaltet.« Gemurmel erklang. »Dank Cynthias Vater kann er in diesem Jahr in dem alten VarietéTheater in der Merillstreet stattfinden.« Unter das Gemurmel mischte sich Stöhnen und Mr Barrings hob die Hand, um es zum Verstummen zu bringen. »Ich habe es mir gestern angesehen. Es ist alles ziemlich staubig und muss unbedingt entrümpelt werden, ehe wir mit dem Aufbauen und Dekorieren beginnen können. Deshalb trifft sich das Dekorationsteam heute Nachmittag um fünfzehn Uhr vor dem
    Theatereingang,
    um
    mit
    dem
    Aufräumen
    anzufangen.« Einige aus der Klasse, nämlich die, die zu besagtem Team gehörten, stöhnten erneut. Ich war eine von ihnen. Mr Barrings nickte verständnisvoll. »Ich weiß, Leute. Aber irgendwann müssen wir anfangen.« Sein Blick wanderte über die Klasse. »Da Mike mit seinem gebrochenen Handgelenk, was das Heben und Tragen angeht, noch ausfällt, brauchen wir Ersatz für ihn.« Er sah DuCraine an und lächelte. »Wie wäre es mit Ihnen, Julien?
    Immerhin sollen Sie ja für Mikes Unfall verantwortlich sein, nach dem, was man hört.«
    DuCraine öffnete den Mund und ich hätte jede Wette gehalten, dass er »Nein!« sagen wollte, doch Mr Barrings gab ihm gar nicht die Chance dazu.
    »Sehr schön. Damit wäre das auch geklärt.« Mr Barrings nickte ihm zu und blickte anschließend in die Runde.
    »Dann sehen wir uns heute um fünfzehn Uhr«, entließ er uns. Neben mir erklang ein beinahe unhörbares Knurren. Verstohlen blickte ich DuCraine an. Seine Lippen waren nur noch ein schmaler, dünner Strich. Er kochte vor Wut und ich war mir sicher, dass er eher den Verweis kassieren würde, den es ihm einbrachte, heute Nachmittag nicht zu kommen, als aufzukreuzen.
    Ich irrte mich. Er kam. Etwas, worüber Mike und Neal - die ebenfalls zum Dekorationsteam gehörten - wenig erbaut waren.
    Die Merillstreet, in der das alte Varieté-Theater lag, war eine kleine Seitenstraße, die vom Riverdrive, der Hauptstraße Ashland Falls, abzweigte. Zwischen den hohen
    Klinkerbauten
    mit
    den
    vorgelagerten
    Eingangstreppen und den verzierten Fenstereinfassungen aus Sandstein schien die Zeit stehen geblieben zu sein. Es war, als befände man sich plötzlich in der Kulisse zu einem

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