Der Kuss Des Daemons
und sie gebeten meine Ehre zu verteidigen? -, worauf er nur mit seiner gleichgültig arroganten Art reagierte. Es ging weiter mit Rempeleien auf dem Gang und gipfelte darin, dass Neal mit DuCraine im Fechttraining auf die Planche ging und versuchte, ihn vor aller Augen fertigzumachen - was zum gnadenlosen Misserfolg wurde. Neal war gut und er kannte eine ganze Reihe von Tricks, mit denen er sich haarscharf an der Grenze des Erlaubten bewegte. DuCraine zeigte ihm, dass es einige mehr von dieser Art gab, die Neal noch unbekannt waren. Der Coach musste sie schließlich trennen, ehe das Ganze zu weit führte. Doch der Lärm war bis in die andere Hälfte der Turnhalle zu hören gewesen, wo Beth und ich unseren Sportkurs hatten. Jetzt fühlte Neal sich auch noch in seiner Ehre verletzt, was nicht dazu beitrug, die Situation zu entschärfen.
Zu allem Überfluss glaubte Cynthia, DuCraine hätte mich nach nur einer Nacht abserviert, und tat diese Meinung bei jedem kund, der sie hören wollte - und auch bei denen, die es nicht wollten.
DuCraine schien das alles überhaupt nicht zu interessieren. Innerhalb der nächsten vier Wochen nannten sich zwei Mädchen aus unserer Stufe und eine aus der über uns kurzzeitig seine Freundin, ehe irgendjemand sie in Tränen aufgelöst auf der Mädchentoilette fand, weil er Schluss gemacht hatte. Ich erschrak ein wenig über mich selbst, als ich feststellte, dass ich keinerlei Mitleid mit ihnen hatte. Vielleicht weil sie es allmählich hätten besser wissen müssen. Immerhin hatte DuCraine inzwischen ja einen gewissen Ruf.
In diesen Wochen ertappte ich mich immer wieder dabei, dass ich ihn verstohlen beobachtete, wenn ich ihn zufällig irgendwo sah. Wie er sich mit dieser gefährlichen Geschmeidigkeit bewegte, faszinierte mich, und ich hätte etwas darum gegeben, ihn einmal bei Tageslicht ohne seine Brille zu sehen. Hörte ich seine Stimme auf dem Gang, wurden mir die Knie weich. Einmal standen wir uns am Seiteneingang
zum
naturwissenschaftlichen
Flügel
unvermittelt gegenüber und ich vergaß tatsächlich zu atmen - was mir erst auffiel, als er schon an mir vorbeigegangen war. Der Blick, den er mir dabei zugeworfen hatte, war mörderisch gewesen - gelinde gesagt -, ohne dass ich mir erklären konnte, warum er wütend auf mich war. Was auf dem Peak geschehen war, konnte wohl kaum der Grund dafür sein.
In der letzten Septemberwoche kam Mr Barrings zurück, unser Lehrer für englische Literatur. Kurz nach Beginn des Schuljahres hatte er einen schweren Autounfall gehabt und deshalb lange Zeit im Krankenhaus verbracht. Selbst jetzt ging er noch an Krücken.
Der Unterricht fand in einem anderen Saal statt als die ersten Stunden zu Anfang des Schuljahres. Ich war eine der Letzten, die den Raum betraten, und da ich keine Lust hatte, mich in die Nähe von Cynthias Hofstaat zu setzen, suchte ich mir einen Platz in der vorletzten Reihe. Mr Barrings hatte sich schon hinter seinem eigenen Tisch niedergelassen, als die Tür noch einmal aufging und Julien DuCraine mit einer gemurmelten Entschuldigung hereinkam. Mein Mund wurde trocken. Außer der letzten - vollkommen leeren - Reihe war nur noch der Platz neben mir frei. Offenbar fiel das auch ihm auf, denn er blieb schlagartig stehen, biss dann aber die Zähne zusammen und marschierte an mir vorbei auf die hinterste Reihe zu. Ich hörte Cynthia mit ihren Freundinnen tuscheln. Jemand kicherte. Vor Scham schoss mir das Blut ins Gesicht und ich blickte starr geradeaus.
»Ich glaube, wir kennen uns noch nicht.« Mr Barrings schob seine Unterlagen zurecht. Seine Krücken lehnten neben ihm. Schräg hinter mir blieb DuCraine stehen.
»Nein, das tun wir nicht. Ich bin Julien DuCraine. Ich bin erst vor zwei Monaten an die Montgomery gewechselt.«
Sein Rucksack schabte vernehmlich über einen Tisch in meinem Rücken.
»Dann herzlich willkommen. Aber ich schlage vor, Sie setzen sich neben Dawn, Julien. Dann muss ich nicht so schreien. Ich bin sicher, sie wird Sie nicht beißen.«
Ich drehte mich um. Er starrte mich an. Nein, ich würde ihn nicht beißen - aber er mich, seinem Gesichtsausdruck nach zu schließen.
Für eine halbe Minute herrschte gespanntes Schweigen, dann zuckte er die Schultern und ließ sich auf den Stuhl neben mir fallen. Der Blick, den ich trotz der dunklen Brille auf mir zu spüren glaubte, verbannte mich bei allen Qualen der Hölle auf meine Hälfte des Tisches. Nicht dass ich vorgehabt hätte ihm - aus welchen Gründen auch
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