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Der Kuss des Engels: Roman (German Edition)

Der Kuss des Engels: Roman (German Edition)

Titel: Der Kuss des Engels: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lukas
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anspringen. Rückwärts verließ sie den Raum, brachte es nicht über sich, dem Messer den Rücken zuzuwenden. Undenkbar, an den Schrank zurückzukehren. Lieber ging sie ins Bad und trank aus ihrem Zahnputzbecher. Das Wasser schmeckte kaum anders als das aus den Plastikflaschen im Kühlschrank.
    Ein Blick in den Spiegel offenbarte ihr, dass sie leichenblass geworden war. Es ist nur ein Messer. Gestern früh hatte sie es noch benutzt, ohne sich etwas dabei zu denken. Verdammt, Jean! Warum musstest du mir dieses Foto zeigen? Gab es wirklich eine Verbindung zwischen ihr, dem Toten und Jeans Bekannter, die im Krankenhaus lag? Hätte sie ihm von ihrem nächtlichen Erlebnis erzählen sollen? Das war doch alles nur Einbildung! Eine einmalige Sache, vielleicht eine Art Albtraum, weil sie nicht richtig wach gewesen war. Und ganz gewiss hatte Rafe nichts damit zu tun.
    Sie trank aus, ging in ihr Zimmer hinüber und trat ans Fenster. Es mochte zu viel Hitze hereinkommen, doch sie brauchte frischere Luft. Eine Reflexion auf dem Glas ließ sie herumfahren. »Ich habe gehört, deine Anstandsdame sei ausgeflogen.«

    Kerzenlicht spiegelte sich auf einer Rasierklinge. Jean schnellte auf die Beine, packte bereits im Sprung nach Lilyths Arm. Mit ganzer Kraft stemmte er sich gegen die Macht des Dämons, der ihre Hand führte. Gaillards Helfer tauchte neben ihm auf, zerrte mit ihm gegen diese Stärke an, die jedes Maß überstieg. Die Schneide blitzte gefährlich nah an Lilyths Hals. Blut tropfte zwischen ihren Fingern hervor. Ihre Augen starrten verdreht ins Leere. Das Kruzifix war von ihrem Schoß gefallen.
    »Omnipotens Domine, Verbum Dei Patris, Christe Iesu …«, hörte Jean die Stimme des Priesters im Ohr. Es wird alles gut, beschwor er Lilyth stumm. Verpiss dich, du verdammter Hurensohn! Ich fürchte deinen drei mal verfluchten Meister nicht! Fahr zu ihm in die Hölle!
    »Voll Furcht und Zittern rufe ich deinen heiligen Namen und bitte dich, gewähre mir, deinem unwürdigen Diener, Verzeihung all meiner Sünden, festen Glauben und die Macht, durch die Kraft deines heiligen Arms diesen grausamen Dämon unverzagt und furchtlos anzugreifen«, flehte Gaillard.
    Ich wünschte, du würdest es endlich tun, alter Mann! Jean wagte nicht, seine Kraft auf ausgesprochene Worte zu verschwenden. Lilyth wand sich auf ihrem Stuhl wie eine Schlange, versuchte, ihm ihr Handgelenk zu entziehen. Er hielt fest, spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach. Das Gesicht seines Helfers sah vor Anstrengung beinahe so verzerrt aus wie Lilyths.
    »Amen«, ertönte es aus Gaillards Mund und dem der alten Frau. Aus dem Augenwinkel nahm Jean wahr, dass sich der Priester bekreuzigte. Der Abbé drängte sich zwischen ihn und seinen Helfer, schlug rasch das Kreuzzeichen über Lilyth, legte ein Ende der Stola an ihren Hals und hob die Rechte über ihren Scheitel. »Seht das Kreuz des Herrn! Fliehet, ihr feindlichen Mächte!«
    Nur die hohe, dünne Stimme der älteren Dame antwortete ihm: »Gesiegt hat der Löwe vom Stamme Juda, der Spross Davids.«
    Die Klinge zuckte gen Hals. Instinktiv ließ Jean Lilyths Arm mit der Linken fahren und griff über die Schneide, schirmte sie ab. Es dauerte eine kleine Ewigkeit, doch dann spürte er ein Brennen, wo das Metall seine Haut durchdrungen hatte. Sein Blut mischte sich mit Lilyths, verschmolz mit ihm zu gemeinsamen Flecken auf hellem Stoff.
    Wieder ertönte ein Amen. »Exorcizo te – ich beschwöre dich!«, rief Gaillard mit fester Stimme. »Unreiner Geist, alle feindlichen Mächte, alle Gespenster, alle Dämonen, im Namen unseres Herrn Jesus …« Erneut malte er das Zeichen des Kreuzes in die Luft. »… Christus, reißt euch los und lasst ab von diesem Geschöpf Gottes!« Ein zweites Kreuzzeichen folgte. »Er selbst befiehlt es dir, dessen Wort dich aus dem Himmel in die Niederungen gestürzt hat. Er selbst befiehlt dir, der dem Meer, den Winden und Stürmen befahl. Höre also und fürchte dich, Satan, du Glaubensfeind, du Widersacher des Menschengeschlechts, du Mörder, du Räuber des Lebens, du …«
    Jean spürte, wie der Widerstand nachließ. Seine Arme bebten ebenso wie Lilyths. Noch immer tropfte Blut herab. Die warme Flüssigkeit quoll unter seiner Hand hervor. Weiche, du Dreckskerl! Mich bringst du mit diesem Spielzeug nicht um. Lilyths Arm wand sich, trieb die Klinge tiefer in sein Fleisch. Das ist alles, was du kannst? Er biss die Zähne zu einem grimmigen Lächeln zusammen. Du bist erbärmlich gegen deinen

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