Der Kuss des Engels: Roman (German Edition)
du.«
Jean sah sie entgeistert an.
»Ja, ich weiß, was du denkst: Dass ich nicht ganz richtig im Kopf sein kann. Ich … weiß auch nicht, warum ich ihm unbedingt glauben will. Du hast nicht mit ihm gesprochen. Na ja, vielleicht würde das auch nicht helfen, weil du einfach nicht glauben willst, dass noch etwas von Rafe in ihm steckt. Das ist …«
»Irrsinn«, stellte er nüchtern fest. »Du hast sein wahres Gesicht gesehen. Du weißt, dass er dir alles erzählen würde, um dich …«
»Aber ich liebe ihn! Es ist mir gleich, was du davon hältst. Mein Herz sagt mir, dass noch etwas von ihm in diesem Dämon steckt und leidet! Das kann ich nicht ignorieren. Ich will, dass er glücklich ist. Und außerdem werde ich nie wieder glücklich sein können, solange ich ihn liebe, denn er wird nicht aufgeben.«
»Wie gesagt, es gibt Wege, wie man sich der Nachstellungen eines Dämons entledigen kann.«
Sophies Hoffnung schwand unter seinem abweisenden Blick. »Mich interessieren nur Wege, die auch ihm helfen.«
»Die gibt es nicht.«
»Kannst du dir dessen sicher sein? Du hast ja nicht einmal darüber nachgedacht!« Sie spürte ihre Augen feuchter werden und kämpfte gegen die Tränen an.
»Da gibt es nichts nachzudenken, Sophie! Ich beschäftige mich seit Jahren mit Dämonologie, und nie ist mir dabei auch nur ansatzweise untergekommen, dass man den Sturz rückgängig machen könnte.«
»Vielleicht nur, weil du nicht darauf geachtet hast?« Sie hörte die wachsende Unsicherheit in ihrer eigenen Stimme.
Seufzend schüttelte er den Kopf.
»Was … was ist mit Geneviève?«, wagte sie zu fragen. »Wenn sie wirklich ein Engel ist, kann sie uns dann nicht weiterhelfen? Sie müsste doch alles über solche Dinge wissen.«
Er lächelte schief. »Wissen wir denn alles über Menschen, nur weil wir Menschen sind?«
»Du willst es überhaupt nicht versuchen!« Vielleicht verlange ich einfach zu viel von ihm. Sie stand auf. »Es … tut mir leid, dass ich dich mit meinem Problem belästigt habe. Wenigstens hast du es dir angehört. Danke.«
Auf dem Weg zur Tür erwartete sie, dass er aufspringen und versuchen würde, sie aufzuhalten, doch kein Geräusch deutete darauf hin. Es war ein wenig enttäuschend, aber auch erleichternd, denn sie wollte nicht, dass er noch einmal davon anfing, Rafe durch irgendwelche exorzistischen Praktiken abzuwehren.
»Geneviève«, begann Jean leise, »ist weder ein Orakel noch ein Dschinn, den man mal eben aus seiner Flasche ruft, wenn man ihn braucht. In Paris geschehen jeden Tag mehr Verbrechen, als du dir vorstellen kannst. Erwartest du ernsthaft, dass sie hier auftaucht, nur um dir eine Frage zu beantworten?«
Betroffen wandte sich Sophie noch einmal um. Er hatte recht. Es war wohl ziemlich vermessen von ihr, das zu fordern, zumal Geneviève sie bereits davor gewarnt hatte, sich auf Rafe einzulassen. »Ich … dachte eher, dass du sie für mich fragen könntest, weil ich dich ein paar Mal mit ihr gesehen habe.«
Er machte eine ratlose Geste. »Sie scheint zu glauben, dass ich zurzeit prima ohne ihre Hilfe auskomme. Oder sie hat einfach Wichtigeres zu tun. Du darfst nicht vergessen, dass wir nur zwei Menschen unter Millionen sind, die in dieser Stadt einen rettenden Engel gebrauchen können.«
Er ist genauso verzweifelt wie ich, weil er Angst um dieses Mädchen im Krankenhaus hat. »Schon gut, Jean. Es tut mir wirklich leid, dass ich mit meinen dämlichen Ideen zu dir gekommen bin. Ich kann verstehen, dass du andere Sorgen hast, bei denen ich dir ja auch keine Hilfe bin.«
War er einfach müde, oder hatte sie erneut etwas Dummes gesagt? Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte, als er sich übers Gesicht rieb und dabei tief durchatmete. »Lass uns morgen Vormittag nach Montmartre fahren und jemanden besuchen, der vielleicht mehr über Engel weiß als ich. Mehr kann ich nicht für dich tun.«
Auf der Treppe nach oben wirbelte die warme Abluft der Métro-Station Sophies Haare durcheinander. Rasch versuchte sie, die Strähnen wieder zu bändigen, und wunderte sich, dass angesichts der schwülen Hitze überhaupt noch warme Luft aufstieg. Der Dunst hing schon seit den ersten Morgenstunden hoch über der Stadt, was sie nur bemerkt hatte, weil sie vor Aufregung früh aufgewacht war. Nachdem sie sich an ihre Verabredung erinnert hatte, war an Schlaf nicht mehr zu denken gewesen.
»Warst du schon einmal hier?«, erkundigte sich Jean. Selbst jetzt trug er Schwarz und schleppte
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