Der Kuss des Engels: Roman (German Edition)
Feder, als es an der Haustür klingelte. »Das ist er bestimmt.«
»Na, wir wollen mal sehen«, meinte Madame Guimard und trocknete sich in aller Ruhe die Hände ab, bevor sie aufstand und zur Sprechanlage ging, während Sophie längst im Flur war, um in Windeseile Schuhe anzuziehen.
»Hallo?«
Im Lautsprecher knisterte und knackte es, als brenne ein Lagerfeuer darin. »Bonsoir, Madame. Ist Sophie zu sprechen?«
»Ich glaube schon«, erwiderte Madame Guimard schmunzelnd. Mehr hörte Sophie nicht, weil sie bereits die Stufen hinuntereilte. Sie musste sich mit dem Gedanken bremsen, dass es niemandem nützte, wenn sie die Treppe hinabfiel. Rafe war gekommen, und er würde nicht wieder gehen, selbst wenn Madame Guimard noch irgendetwas Unmögliches sagte. Mit jedem Stockwerk wurde sie langsamer. Wie würde es aussehen, wenn sie völlig außer Puste unten ankam? Ihr Herz raste ohnehin schon.
Sie öffnete die Tür und spürte selbst, wie sie vor Erlösung und Freude strahlte. Rafes Lächeln verwandelte sich schlagartig in einen undeutbaren Blick. Im regentrüben Licht muteten seine Augen schwarz an. Er hob eine Hand, um eine Strähne aus ihrem Gesicht zu streichen, und fuhr mit den Fingern durch ihr Haar. »Manchmal kommt es mir wirklich vor, als würde ich dich von irgendwoher kennen.«
Sophie konnte ihn nur anstarren, während die jäh aufblühende Hoffnung ihre Gedanken und Gefühle durcheinanderwirbelte. Ihre Dämme aus Vorbehalten bekamen Risse. Sie schlang die Arme um seinen Hals und erwiderte seinen Kuss mit zärtlicherer Leidenschaft als zuvor. Es wird doch noch alles gut.
Kichernd geflüsterte Bemerkungen riefen ihr nach einer Weile ins Gedächtnis zurück, dass sie auf dem Bürgersteig standen. Drei junge Frauen steckten im Vorübergehen die Köpfe zusammen und lugten dabei doch in Rafes Richtung. Sie kam sich vor wie ein ertappter Teenager und errötete.
»Ist es dir etwa peinlich, mit mir gesehen zu werden?«, neckte Rafe sie.
»Unsinn«, schnappte sie, ohne selbst überzeugt zu sein. »Aber … ein etwas weniger öffentlicher Ort wäre mir trotzdem lieber.«
Ein Anspannen seiner Arme genügte, um ihre Hüfte näher an seine zu ziehen. Sophie wusste nicht, was ihr mehr Hitze durch den Leib trieb, sein durchdringender Blick oder die Hände, deren sanfter Druck sie an ihn drängte.
»Morgen.«
Das Wort hing einen Augenblick lang in der Luft, bedeutungsschwer und doch unergründlich wie der Mond am Nachthimmel. Morgen? Er hatte vor, morgen mit ihr zu schlafen, ohne sie nach ihren Wünschen gefragt zu haben? Warum nicht heute oder nächste Woche, und wo überhaupt? Irritiert rückte sie von ihm ab, so weit seine Arme es zuließen – was kaum ein Fingerbreit war.
»Heute muss ich ein paar wichtige Leute treffen«, erklärte er, als sie gerade den Mund zu einer Antwort öffnen wollte. Die Enttäuschung musste ihr deutlich ins Gesicht geschrieben sein.
Er grinste. »Wenn du dich ein bisschen amüsieren willst, kannst du ja mitgehen.«
Die Schlägerei im Hinterhof kam Sophie in den Sinn. Sie ahnte nichts Gutes.
N ette Mieze, die du da hast«, befand der Kerl mit der Halbglatze vom Beifahrersitz aus. »Pass nur mal auf, dass sie dem Patron nicht gefällt.«
Sophie wand sich innerlich. Was fand Rafe nur an diesen Menschen? Wie hielt er es mit ihnen aus? Der Abend hatte so schön begonnen, dass sie umso mehr darunter litt, nun in dieser Limousine zu sitzen, deren Innenraum von dem Schmächtigen mit Zigarettenrauch vernebelt wurde. Rafe war zunächst mit ihr in ein Restaurant am Place Saint-Michel gegangen, wo er sie nicht nur zum Essen eingeladen, sondern auch über ihr Leben, ihren Beruf und ihre Jobsuche ausgefragt hatte. Erst danach waren sie an einem offenbar vorher vereinbarten Treffpunkt in das schwarze Auto gestiegen. Sophie fand es rassistisch, dass der Chauffeur schwarz oder eher schokoladenbraun war, doch es gehörte zum Pariser Alltag. Auch vor den teuren Luxushotels an der Rue Rivoli und der Place Vendôme standen vor allem schwarze Männer in den Uniformen der Bediensteten bereit. Wenigstens eine lächerliche Livree blieb ihrem schweigsamen Fahrer erspart.
Angewidert vom lüsternen Blick der Halbglatze, wie sie den Kerl für sich nannte, sah sie aus dem Fenster und versuchte, nicht zu husten, obwohl ihr der Qualm im Hals kratzte. Sie musste Rafe schon dankbar sein, dass er sich zwischen sie und den Schmächtigen gesetzt hatte, der sich bereits die nächste Zigarette
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