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Der Kuss des Engels: Roman (German Edition)

Der Kuss des Engels: Roman (German Edition)

Titel: Der Kuss des Engels: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lukas
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Schaufenstern flankiert, durch die an einem wolkenverhangenen Nachmittag wie diesem nicht viel Licht hereinfiel. Ein vergilbtes Schild hinter der Scheibe verkündete so eigenwillige Öffnungszeiten wie »Mittwoch 09.00–10.45 Uhr«, was wohl mehr Kunden abschreckte als einlud. Aber auch die altersdunklen Wände und der muffige Geruch, der ihnen anhaftete, trugen zur trübseligen Atmosphäre bei.
    Hier müsste unbedingt neu gestrichen werden, dachte Sophie, als sie den Blick zur Decke richtete. Es hätte schlimmer sein können. Noch blätterte keine Farbe von den Wänden, und es gab weder Stockflecken noch Spinnweben. Und doch konnte sie sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich der Laden anschickte, in die Schatten der Vergangenheit zu entgleiten, deren Mode er über die Jahrzehnte bewahrt hatte. Dass er dabei war, sich zu einem verblassenden Loch in der Zeit aufzulösen, das eines Tages kollabieren und bis dahin den wenigen Kunden, die sich hineinverirrten, ein unbehagliches Gefühl bereiten würde.
    Was für ein Gegensatz zu Madame Guimards hellem, freundlichem Nähzimmer! Oder lag es doch nur an der fehlenden Sonne dieses tristen Tags, dass ihr das Geschäft wie eine Höhle vorkam? Unwillkürlich schüttelte sie sich, um die düsteren Gedanken zu vertreiben. Bestimmt war mit dem Laden alles in Ordnung, und sie ließ sich nur von ihrer Sehnsucht die Stimmung verderben. Warum hatte sie auch vergessen, Rafe nach seiner Nummer zu fragen? Nun saß sie schon den ganzen Tag auf glühenden Kohlen, weil sie nicht wusste, wann und wie sie wieder Kontakt mit ihm aufnehmen sollte. Er hätte sich ja genauso gut nach meiner Nummer erkundigen können.
    »Es ist vielleicht nicht das, was ihr jungen Mädchen heutzutage gewöhnt seid.« Madame Guimard war ihr Gesichtsausdruck offenbar nicht entgangen. »Bei euch muss ja alles laut und bunt und verglast sein.«
    »Nein, nein«, beeilte sich Sophie zu versichern. »Ich finde es angenehm, dass es hier so still ist.« In besonders ruhigen Momenten hört man wahrscheinlich die Holzwürmer knabbern. »Es müsste nur … etwas mehr Licht herein.«
    Die alte Dame blinzelte wie eine Eule, der man gerade eröffnet hatte, dass die Nacht zu dunkel sei.
    »Sie haben sich über die Jahre daran gewöhnt, dass der Laden so ist, wie er ist«, versuchte Sophie vorsichtig zu erklären. »Aber wenn man zum ersten Mal hereinkommt, wirkt er doch ein wenig … wie ein Museum, das man abschattet, um die Ausstellungsstücke nicht zu gefährden. Kennen Sie das?«
    Madame Guimard nickte nachdenklich. »Ich glaube, ich verstehe, was du meinst.« Sie sah sich um, als betrachte sie die Einrichtung zum ersten Mal.
    Sophie folgte ihrem Blick über die Vitrinen und Regale mit den Hüten und Accessoires. An einer Handvoll Schaufensterpuppen waren Kleider aus dezent gefärbten Stoffen drapiert, die zwar schick aussahen, im Dämmerlicht jedoch kaum zur Geltung kamen. Die Puppen trugen passende Strohhüte und Seidenschals, imitierten perfekt die Outfits der Filmstars auf den Fotos, die zum Vergleich an den Wänden hingen. Obwohl die Bilder angestaubt waren und allmählich verblassten, hatten die Posen und Blicke der Schauspieler noch immer Wirkung. Greta Garbo weckte in Sophie sofort den Wunsch, auch einmal das abgebildete Kleid zu tragen und so stilvoll auszusehen wie sie.
    »Schade, dass es dir nicht gefällt. Dann wirst du sicher nicht hier arbeiten wollen.«
    »Könnte ich denn nicht …« Sophie zögerte. Wollte sie das wirklich anbieten? Warum eigentlich nicht? Sie hatte keine Lust, den ganzen Tag Bewerbungen zu schreiben und dann auf Antworten warten zu müssen. »Wie wäre es, wenn wir dem Laden einen neuen Anstrich verpassen und ihn etwas aufmöbeln?«
    »Aufmöbeln?« Ihrer besorgten Miene nach zu urteilen, sah Madame Guimard schrille Neonschilder und chromblitzende Regale vor sich.
    »Nur ein paar Strahler, um die exklusive Kollektion besser in Szene zu setzen«, versuchte Sophie, ihr die Idee schmackhaft zu machen. »Neue Fotos, weil frische Farben lebendiger wirken. Und in den Fenstern muss dringend mal alles gründlich abgewaschen und abgestaubt werden. Ich will damit nicht sagen, dass der Laden heruntergekommen ist«, fügte sie rasch hinzu, als sie Madame Guimards Gesichtsausdruck sah. »Er ist nur nicht so schön, wie er sein könnte.«
    Ein zaghaftes Lächeln stahl sich in die Züge der alten Dame und wuchs sich mit jedem Wort mehr zu einer fröhlich entschlossenen Miene aus. »Du hast

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