Der Kuss des Engels: Roman (German Edition)
nachdenkt. Trotzdem hätte sie schwören können, dass es dieselbe Frau war, die sie schon zweimal an Jeans Seite gesehen hatte. Und wenn sie tatsächlich mit Jean in Verbindung stand, war es wiederum nicht mehr so undenkbar, dass sich ihre Mahnung auf Rafe bezogen hatte. Aber wer war sie? Jeans Freundin? Oder war Jean doch ein verdeckter Ermittler, der sie mit diesen Engelsgeschichten zum Narren hielt, und sie »nur« eine Kollegin? Ob die beiden etwas miteinander hatten, konnte ihr ja nun wirklich gleichgültig sein.
Ein Piepsen ihres Handys drang von der Theke herüber, wo sie ihre Tasche abgelegt hatte. Hoffentlich nicht schon wieder einer dieser sinnlosen Willkommensgrüße. War sie mittlerweile nicht lange genug in Paris?
»Ich hole dich gegen 21 Uhr ab. Rafe«
Verwirrt starrte sie auf das Display. Woher hatte er ihre Nummer? Ihr Handy zeigte »Rafe« als Absender an, also musste sie ihn im Telefonbuch gespeichert haben – aber wann? Vielleicht sollte sie ihm erst einmal antworten. Aber was? Es widerstrebte ihr, so zu tun, als sei alles in bester Ordnung. »Hi, ja, wir müssen reden«, tippte sie, nur um es sofort wieder zu löschen. Mit diesem tödlichen Satz würde sie den Abend verderben, bevor er begonnen hatte. »Hi, prima, ich …« Wieder brach sie ab. Klang das angesichts seines Verhaltens nicht viel zu begeistert? Erneut ließ sie den Cursor zurückwandern, bis nur noch »Hi« übrig blieb. Hatte er zwischenzeitlich schon mit seinen feinen Freunden gesprochen? Wusste er, was vorgefallen war? »Hast du schon …«, setzte sie an, doch plötzlich erlosch das Display und stellte sich tot. Sie grummelte einen unterdrückten Wutschrei. Warum musste sie auch immer vergessen, den Akku aufzuladen?
S ophie blieb hinter der geschlossenen Tür stehen und atmete ein paar Mal bewusst langsam durch, um sich zu sammeln. Sie sah es kommen. Wenn Rafe wieder etwas Romantisches sagte oder ihr so intensiv in die Augen blickte, als gäbe es nichts anderes auf der Welt, würde sie alle guten Vorsätze vergessen und über die vergangene Nacht schweigen. Darauf legt er es doch an. Reiß dich zusammen, Soph!
Entschlossen griff sie nach der wuchtigen, altertümlichen Klinke und öffnete die Tür. »Hi, Rafe.« Sie sah ihn nur flüchtig an, wandte sich sofort wieder ab, um hinter sich zuzuziehen.
»Hi, Sophie«, ging er auf ihren nüchternen Ton ein, doch seine Linke spielte bereits wieder mit Strähnen ihres Haars. »Schönes Kleid.« Seine Finger strichen ihren Hals hinab und die Schulter entlang, die der schmale Träger eher betonte denn verdeckte, und hinterließen eine seltsam heißkalte Spur.
Sophie schauderte, doch es war ein wohliges, kribbelndes Gefühl.
Zusammenreißen!, ermahnte sie sich und straffte die Schultern. Endlich schaffte sie es, ihm in die dunklen Augen zu sehen. »Ich … ähm … kann so nicht weitermachen, Rafe.«
Er erwiderte nur ihren Blick, während seine Hand fortfuhr, mit leichten Berührungen ihrer Halsbeuge ihren ganzen Körper in Aufruhr zu versetzen.
»Gestern Abend ist etwas vorgefallen, das mir …«
»Ich weiß«, fiel er ihr so ernst ins Wort, dass sie sogleich verstummte. »Es wird nicht wieder vorkommen.« Er klang so sachlich und düster zugleich, dass sie unwillkürlich Bilder aus Mafiafilmen vor sich sah, in denen eigenmächtige Handlanger beiläufig abgeknallt wurden.
Sie hatte alles erwartet, halbherzige Entschuldigungen, Ausreden, Herunterspielen, hatte insgeheim doch auf eine liebevolle Reaktion gehofft, doch dieses unverblümte Eingeständnis und das unterkühlte Versprechen trafen sie völlig unvorbereitet. »Das, äh …« Was genau hatten seine Worte eigentlich für ihre Zukunft zu bedeuten? Dass er sie nicht mehr mitnehmen würde oder dass er sie nicht mehr mit Linot und Antoine allein ließ? Im Grunde wurde dadurch nichts besser, solange er sich mit solchen Leuten traf. Ein sehr verliebter Teil von ihr schrie protestierend auf, dass sie nichts ruinieren sollte, aber die Worte waren schon heraus: »Das reicht mir nicht.«
Zu ihrer Überraschung grinste Rafe. »Mir auch nicht«, sagte er, fasste dabei in ihr Haar und hob es an, um ihren Hals zu küssen.
Einen Moment lang hielt sie still. Sie wollte seinen Atem und seine Lippen auf ihrer Haut spüren. Doch er tat genau das, was sie von Anfang an befürchtet hatte. Widerstrebend wich sie zurück. »Du nimmst überhaupt nicht ernst, was ich sage.«
Er richtete sich auf und sah ihr in die Augen. »Ich
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